personalmagazin 12/2017 - page 64

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RECHT
_MITBESTIMMUNG
personalmagazin 12/17
dahin gehend zu vernehmen, die Zahl
der Mitglieder im SE-Aufsichtsrat sowie
die Gewichtung zwischen der Arbeitge-
ber- und Arbeitnehmerseite anzupassen,
wenn die vorgegebenen Schwellenwerte
in den jeweiligen deutschen Mitbestim-
mungsgesetzen überschritten werden.
Eine solche Regelung wäre jedoch nach
meiner Einschätzung nicht mit den eu-
ropäischen Vorgaben zur SE vereinbar.
Deutsche Mitbestimmung europafest!
Der Europäische Gerichtshof (EuGH)
hat Gott sei Dank im Verfahren Erz-
berger versus Tui am 18. Juli 2017 (Az.
C-566/15) entschieden, dass die Re-
gelung des Mitbestimmungsgesetzes,
wonach nur im Inland beschäftigten
Arbeitnehmern das aktive und passi-
ve Wahlrecht bei den Wahlen der Ar-
beitnehmervertreter im Aufsichtsrat
zusteht, europafest ist. Die Entschei-
dung ist verständlicherweise von den
Sozialpartnern begrüßt worden. Konse-
quenterweise wird der EuGH – sollte er
eingeschaltet werden – auch absegnen,
dass ausländische Arbeitnehmer bei der
Feststellung der inländischen Schwel-
lenwerte nicht mitzählen.
Sechs Vorschläge für eine Reform
Nach alledem ergeben sich aus meiner
Sicht sechs Punkte, deren Umsetzung
zur Verbesserung des Mitbestimmungs-
rechts insgesamt beitragen würden:
• Eine Abschaffung der Unternehmens-
mitbestimmung ist weder politisch
durchsetzbar noch wünschenswert.
Wünschenswert wäre aber eine verein-
barungsoffene Lösung der Unterneh-
mensmitbestimmung mit gesetzlichen
„Leitplanken“. Kommt es bei einer mit-
bestimmungspflichtigen Kapitalgesell-
schaft zu keiner Vereinbarung, sollte das
Gesetz eine Auffanglösung bereitstellen,
die sich an einer Drittelbeteiligung orien-
tiert, die der Beteiligung der Arbeitneh-
mer vieler anderer EU-Staaten mit Unter-
nehmensmitbestimmung entspricht.
• Unternehmensmitbestimmung soll-
te keine Fremdbestimmung sein. Das
ist aber im deutschen System der Fall,
weil Gewerkschaftsvertreter in den Auf-
sichtsrat gewählt werden müssen. In-
teressenkonflikte sind dadurch ebenso
vorprogrammiert wie bei Doppelmitglied-
schaften von Betriebsratsmitgliedern.
• Die maximale Größe des Aufsichtsrats
sollte in paritätisch mitbestimmten Ak-
tiengesellschaften auf zwölf Personen
festgelegt werden, so wie es in SE-Un-
ternehmen üblich ist. Die nicht mitbe-
stimmte Satzungsautonomie in der SE
sollte unberührt bleiben.
• Die Arbeitnehmerseite sollte bei (Wie-
der-)Bestellung, Abberufung vom Amt/
Kündigung von Dienstverhältnissen
und der Festlegung der Vertragsbedin-
gungen im paritätisch besetzten Auf-
sichtsrat von der Mitbestimmung ausge-
nommen werden.
• Modernisierungsbedürftig ist zudem
die unflexible und bürokratische be-
triebliche Mitbestimmung. Insbesonde-
re bei Betriebsänderungen und einem
damit verbundenen Personalabbau
neigen Betriebsräte und ihre Berater
dazu, die Verhandlungen über den Inte-
ressenausgleich nach § 112 BetrVG um
jeden Preis zu verzögern. Dabei kommt
ihnen entgegen, dass nach Ansicht des
BAG ein Unternehmen, das Nachteils-
ausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG
vermeiden will, das für den Versuch
einer Einigung über den Interessen-
ausgleich vorgesehene Verfahren voll
ausschöpfen muss. Das Unternehmen
soll – falls keine Einigung mit dem Be-
triebsrat möglich ist und dieser nicht
selbst die Initiative ergreift – gezwun-
gen sein, die Einigungsstelle anzurufen.
Das führt regelmäßig zu monatelangen
Verzögerungen, was sich nur schwer-
lich damit in Einklang bringen lässt,
dass ein Interessenausgleich – also die
Frage des Ob und Wie der Betriebsände-
rung – im Unterschied zum Sozialplan
gerade nicht erzwungen werden kann.
Deshalb hatte der Gesetzgeber mit dem
arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförde-
rungsgesetz vom 1. Oktober 1996 in §
113 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG festgelegt,
wann ein Unternehmer den Versuch ei-
nes Interessenausgleichs unternommen
hat. Leider ist diese Fristenregelung
(zwei beziehungsweise drei Monate) ab
1999 ersatzlos gestrichen worden. Dem
Gesetzgeber ist dringend zu raten, die
Fristenregelung zu reaktivieren.
• Last but not least bedarf es einer Re-
form der §§ 37, 78 BetrVG. Danach füh-
ren die Mitglieder des Betriebsrats ihr
Amt unentgeltlich als – privates – Eh-
renamt aus. Daraus folgt, dass Betriebs-
ratsmitgliedern weder unmittelbar noch
mittelbar Vergünstigungen gewährt
werden dürfen. Bei der Bemessung ih-
rer Vergütung ist die betriebsübliche
Entwicklung vergleichbarer Arbeitneh-
mer zu berücksichtigen. Eine gesetzli-
che Abkehr vom Ehrenamtsprinzip ist
für kleine und mittlere Unternehmen
(KMU) nicht wünschenswert, weil de-
ren Betriebsratsmitglieder – vor allem
Betriebsratsvorsitzende – auf den Ge-
danken kommen könnten, nach Gehalts-
erhöhungen zu rufen.
Nichtmehr zeitgemäß ist jedochdas Eh-
renamtsprinzip für freigestellte Betriebs-
ratsvorsitzende von Großunternehmen.
Hier bedarf es zusätzlicher gesetzlicher
Spielräume für ihre „professionelle“ Be-
zahlung. Auch wenn ich mich scheue,
solche Personen als „Co-Manager“ der
Geschäftsführung zu bezeichnen, ist
doch nicht zu verkennen, dass sie große
Verantwortung tragen.
PROF. DR. JOBST-HUBERTUS
BAUER
ist Rechtsanwalt und
Of Counsel bei Gleiss Lutz in
Stuttgart.
Unternehmensmitbe-
stimmung sollte keine
Fremdbestimmung sein.
Das ist aber der Fall
im deutschen System.
Interessenkonflikte sind
daher vorprogrammiert.
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