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12/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
des Betriebsrats – etwa bei der Einfüh-
rung oder Verlängerung von Kurzarbeit
(§ 87 Abs. 1 Nr. 3 Betriebsverfassungs-
gesetz (BetrVG)) – vor, kann ohne diese
Zustimmung auch keine wirksame Wei-
sung erfolgen.
Arbeitgeber haben zudem auf das
Maßregelverbot zu achten (§ 612a BGB).
Es gilt für alle Maßnahmen und Unterlas-
sungen und besagt, dass aus der zuläs-
sigen Rechtsausübung für Arbeitnehmer
keine Schlechterstellung resultieren
darf. Die ultimative Maßregel stellt die
Kündigung dar, aber auch eine Weisung
kann zur Sanktionierung eingesetzt wer-
den. Eine Versetzung ist etwa dann un-
zulässig, wenn sie hauptsächlich wegen
der Teilnahme von Arbeitnehmern an
einem Streik angeordnet wird.
Billiges Ermessen bei Weisungen
Der Gesetzgeber verlangt von Arbeitge-
bern, dass Weisungen billigem Ermes-
sen (§ 315 BGB) entsprechen. Arbeitge-
ber müssen Interessen und Belange der
Arbeitnehmer in angemessener Weise
berücksichtigen. Ein Beispiel: Bezieht
sich eine Weisung auf den Arbeitsort,
so muss der Arbeitgeber auch private
Lebensumstände berücksichtigen. Eine
Versetzung an einen mehr als 200 Kilo-
meter entfernten Ort wäre daher bei fa-
miliärer Bindung aufgrund schulpflich-
tiger Kinder unwirksam.
Bei der notwendigen Interessenabwä-
gung sind die wesentlichen Umstände
des Einzelfalls zu berücksichtigen –
nicht nur die Interessen der Arbeitge-
ber, sondern auch die der Arbeitnehmer.
Je einschneidender Weisungen für die
Arbeitnehmer sind, desto sorgfältiger
müssen die Interessen beider Parteien
abgewogen werden.
Arbeitgeber können alle betrieblichen
und unternehmerischen Interessen, wie
zum Beispiel Kostenminimierung, den
ungestörten und geordneten Arbeitsab-
lauf, Betriebssicherheit und Betriebs-
frieden ins Spiel bringen. Arbeitnehmer
wiederumhaben ein Interesse amSchutz
ihrer Gesundheit, ihren familiären Ver-
pflichtungen, generell grundrechtlich
geschützten Belangen und an der Fort-
setzung ihrer Tätigkeit.
Weisung: Auswirkung auf Kündigung
Befolgt ein Arbeitnehmer eine Weisung
nicht, stellt sich die Frage nach den ar-
beitsrechtlichen Konsequenzen. Liegt
dann eine Arbeitsverweigerung vor, die
eine Abmahnung und – je nach Schwere
und Wiederholung – sogar eine außer-
ordentliche Kündigung rechtfertigen
kann? Für die Antwort hierauf ist ent-
scheidend, ob die Weisung wirksam ist.
Ist sie unbillig, dürfen Arbeitnehmer
die Arbeit verweigern und Arbeitgeber
müssen trotzdem Lohn zahlen (Annah-
meverzug). Eine Abmahnung oder Kün-
digung ist in diesem Fall unwirksam.
Die endgültige Beurteilung der Billig-
keit einer Weisung obliegt im Streitfall
dem Gericht. Sie ist im Zweifel komplex
und nicht eindeutig. Präventiv ist Arbeit-
gebern daher zu empfehlen, die Weisung
im Vorfeld auf Billigkeit zu untersuchen
und die Prüfung ausführlich zu doku-
mentieren. Diese klare Dokumentation
kann die ordnungsgemäße Ermessens-
prüfung belegen und gegebenenfalls ei-
nen Gerichtsprozess vermeiden.
Folgen der neuen Rechtsprechung
Bisher ließ sich aus der BAG-Recht-
sprechung folgern, dass auch unbillige
Weisungen wegen der Weisungsgebun-
denheit für Arbeitnehmer bis zu einer
Gerichtsentscheidung bindend waren.
Erst danach konnten Arbeitnehmer die
Ausführung der Weisung verweigern,
ohne den Anspruch auf Lohnfortzah-
lung zu verlieren.
Kamen Arbeitnehmer unbilligen Wei-
sungen schon vorher nicht nach, stellte
dies eine Arbeitsverweigerung dar, die
auch nicht durch die gerichtlich festge-
stellte Unbilligkeit geheilt werden konn-
te. Ein Anspruch auf Lohn bestand nicht,
eine Kündigung oder Abmahnung wegen
Arbeitsverweigerung war rechtmäßig.
Durch die neue Rechtsprechung kön-
nen Arbeitnehmer nun eine unbillige
Weisung von Anfang an ignorieren. Das
Risiko der Unbilligkeit liegt jetzt bei den
Arbeitgebern: Sie müssen die Wirksam-
keit der Weisung von vornherein richtig
einschätzen. Sonst kann es ihnen passie-
ren, dass Arbeitnehmer Weisungen nicht
nachkommen, aber trotzdem entlohnt
werden müssen, sollten die Gerichte die
Unbilligkeit feststellen. Abmahnungen
und Kündigungen sind dann auch un-
wirksam, weil sich Arbeitnehmer, die
eine unbillige Weisung nicht befolgen,
nicht vertragswidrig verhalten.
Stellt sich im Nachhinein heraus, dass
eine Weisung doch rechtmäßig war, kön-
nen Arbeitgeber von Arbeitnehmern
Lohn zurückfordern und ihnen gegebe-
nenfalls wegen unzulässiger Arbeits-
verweigerung kündigen. Damit trägt
der Arbeitnehmer ebenfalls ein nicht
unerhebliches Risiko. Daher werden Ar-
beitnehmer künftig wohl vor allem bei
Weisungen mit Ankündigungsfrist Ver-
fahren im einstweiligen Rechtsschutz
anstreben. Dabei steht die schnelle Klä-
rung der Frage im Vordergrund und es
kommt zu keiner Arbeitsverweigerung.
Bei sofort ausführbaren Weisungen
wird der Arbeitnehmer abwägen müs-
sen. Da das Risiko vor allem für Arbeit-
geber gestiegen ist, werden sie in aller
Regel bereits im Vorfeld eine umfas-
sende Billigkeitsprüfung durchführen.
Offensichtlich unbillige Weisungen wer-
den damit eher selten vorliegen. In die-
ser Konstellation ist für Arbeitnehmer
ebenfalls der einstweilige Rechtsschutz
die kostengünstigste und am wenigsten
beeinträchtigende Maßnahme. Arbeit-
nehmer werden generell einstweiligen
Rechtsschutz anstreben, in der Zwi-
schenzeit aber, um auf Nummer sicher
zu gehen, der Weisung vorläufig und
ohne Anerkennung einer Rechtspflicht
Folge leisten.
DR. SILVIA LANG
ist Fach-
anwältin für Arbeitsrecht und
Senior Associate bei Hogan
Lovells in München.
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