personalmagazin 12/2017 - page 74

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RECHT
_KRANKENVERSICHERUNGSPFLICHT
personalmagazin 12/17
kannt wurde, dass sich die Eckdaten sei­
ner ursprünglichen Prognose verändert
haben, er also eine neue Prognose hätte
erstellen müssen.
Beispiel Tätigkeitswechsel:
Versicherungspflicht mangels Zulage
Mit folgendem Beispiel lässt sich der ge­
nannte Prognose-Irrtum darstellen: Ein
Arbeitnehmer ist aufgrund seiner ver­
traglichen Verdienstdaten für das Jahr
2017 als versicherungsfrei eingestuft
worden. Er versichert sich daraufhin in
einer privaten Krankenversicherung. Im
November 2017 wechselt er aufgrund
einer internen Umverteilung seine Tä­
tigkeit mit der Folge, dass bisher regel­
mäßig anfallende Bereitschaftszulagen
wegfallen. In der Rückschau stellt sich
am Jahresende heraus, dass die Jahres­
arbeitsentgeltgrenze knapp unterschrit­
ten worden ist. Der Betriebsprüfer greift
den Fall auf, stellt Versicherungspflicht
ab dem 1. Januar 2018 fest und erlässt
einen rückwirkenden Beitragsbescheid.
Bei der Betrachtung dieses kleinen
Beispiels lässt sich in einem ersten
Schritt feststellen, dass der Arbeitgeber
die Einstufung des Mitarbeiters als ver­
sicherungsfrei zunächst richtig durchge­
führt hat. Seine Prognose zum Zeitpunkt
der Einstufung war richtig. Allerdings
hätte er – sobald er Kenntnis von der ar­
beitsvertraglichen Änderung bekommen
hatte – für die Zukunft eine neue Progno­
se erstellen müssen.
Kann der Arbeitgeber nun in aus­
reichendem Maße darlegen, dass die
Änderung durch einvernehmliche
Vertragsänderung quasi „über Nacht“
eingetreten ist, so wäre die Versiche­
rungspflicht erst ab dem Monat Dezem­
ber 2018 eingetreten. Dann könnten auch
erst ab diesem Zeitpunkt die Beiträge
rückwirkend nachgefordert werden.
Praxisgerechte Antwort:
Nach Risikogruppen filtern
Auch wenn zu konstatieren ist, dass
sich sowohl Rechts-, als auch Progno­
sefehler nicht vermeiden lassen: In der
Praxis muss dies nicht dazu führen,
unterschiedslos jegliche Fälle einer ver­
sicherungsfreien Einstufung penibel
zu überprüfen. Nicht in allen Zweifels­
fällen muss also zur Absicherung eine
Entscheidung der Einzugsstelle (siehe
Hinweiskasten) einzuholen sein.
Vielmehr sollte der mögliche Hand­
lungsbedarf anhand der nachfolgenden
Risikogruppen festgelegt werden. Dafür
sind die möglichen Konsequenzen aus­
schlaggebend, wenn bei einer späteren
Betriebsprüfung die Meinung des ein­
stufenden Arbeitgebers nicht akzeptiert
werden sollte.
Geringes Risiko:
Besserverdienende und Freiwillige
Liegt schon das Grundgehalt eindeutig
oberhalb der jeweiligen Obergrenzen
und hängt die Überschreitung nicht
von der Einstufung spezieller Entgeltbe­
standteile im Sinne einer „Regelmäßig­
keit“ ab, so ist ein genaues Hinsehen nur
erforderlich, wenn es zu Vertragsände­
rungen oder Unterbrechungen kommt.
Ansonsten ist diese Kategorie sowohl
bei der Aufnahme einer Erstbeschäfti­
gung als auch bei der jährlich zum Jah­
resende vorzunehmenden Neubeurtei­
lung unproblematisch. Allerdings zeigt
sich an dieser Stelle auch die Notwen­
digkeit einer laufenden Kommunikation
zwischen den Entscheidungsträgern,
die arbeitsrechtliche Veränderungen
vorbereiten und vereinbaren und den
Verantwortlichen für die Entgeltabrech­
nung. So wird einem Betriebsprüfer
nicht ernsthaft entgegengehalten wer­
den können, dass eine Veränderung
der Vertragsbedingungen erst später in
der Lohnbuchhaltung angekommen sei,
sodass man nicht rechtzeitig eine neue
Prognose habe erstellen können.
Insbesondere wenn es um Mitarbeiter
mit schwankendem Einkommen und fle­
xiblen Lohnbestandteilen geht, kommt
es häufig zu Rechts- oder Prognoseirrtü­
mern. Diese können grundsätzlich dazu
führen, dass aufgrund einer Betriebs­
prüfung eine rückwirkende Umschlüs­
selung von „frei“ zu „pflichtig“ erfolgen
muss. Bei den Mitarbeitern, die nach
ihrer vermeintlich richtigen Umschlüs­
selung in der gesetzlichen Kranken­
versicherung als freiwillige Mitglieder
verblieben sind, besteht jedoch kein
Risiko, rückwirkend Beiträge nachzah­
len zu müssen. Denn im Ergebnis unter­
scheiden sich die Beitragsvolumina von
pflicht- und freiwilliger Krankenversi­
cherung nicht.
Hohes Risiko:
Die Gruppe der privat Versicherten
Wenn es umMitarbeiter geht, die sich für
eine private Krankenversicherung ent­
schieden haben, sollten Arbeitgeber aber
äußerst penibel vorgehen. Hier kann ein
Rechts- oder Prognose-Irrtum erhebliche
finanzielle Konsequenzen haben. Stellt
ein Betriebsprüfer entgegen der Einstu­
fung des Arbeitgebers fest, dass eine
Versicherungspflicht vorliegt, kommt es
bei privat versicherten Mitarbeitern re­
gelmäßig zu Beitragsnachforderungen.
Schuldner des nachträglich festgestellten
Pflichtversicherungsbeitrags ist allein
der Arbeitgeber. Ein nachträglicher Ab­
zug des Arbeitnehmeranteils ist insoweit
allenfalls für drei Monate und nur durch
Lohnabzug möglich (§ 28 g SGB IV).
Die Rückforderung des Arbeitgeber­
zuschusses zur privaten Versicherung
ist zwar grundsätzlich möglich, da die­
In allen Zweifelsfällen
sollte eine Anfrage an
die Einzugsstelle erfol­
gen, sofern die Mitar­
beiter in eine private
Krankenversicherung
wechseln oder darin
verbleiben wollen.
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