personalmagazin 12/2017 - page 62

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RECHT
_MITBESTIMMUNG
personalmagazin 12/17
D
ie deutsche Mitbestimmung
beruht auf zwei Säulen,
nämlich der betrieblichen
Mitbestimmung und der Mit-
bestimmung im Aufsichtsrat. Die im
Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) ge-
regelte paritätische Mitbestimmung gilt
für Unternehmen mit mehr als 2.000
Arbeitnehmern. Für Unternehmen mit
mehr als 500, aber weniger als 2.001
Arbeitnehmern gilt dagegen das Gesetz
über die Drittelbeteiligung der Arbeit-
nehmer (DrittelbG). Kein anderes Land
kennt vergleichbar umfassende Mitbe-
stimmungsrechte der Arbeitnehmer.
Fest steht, dass die Beteiligung der
Arbeitnehmer in Form der (über-)be-
trieblichen Mitbestimmung ein fester
Bestandteil der deutschen Unterneh-
mens- und Betriebskultur ist. Als ge-
regelte Form der Konfliktbewältigung
kann sie einen Beitrag zum sozialen
Frieden leisten. Durch einen Struktur-
wandel bedingte Unternehmensent-
scheidungen können mit konstruktiver
Begleitung der Arbeitnehmerseite umge-
setzt werden, ohne dass dies zu übermä-
ßigen Spannungen und unvertretbaren
Belastungen führt. Auch kann die Ein-
bindung in Entscheidungsprozesse auf
institutionalisierter Grundlage zu hö-
herem Verantwortungsbewusstsein der
Beschäftigten gegenüber ihrem Unter-
nehmen beitragen.
So weit, so gut. Dennoch passt die
Kombination von Unternehmensmit-
bestimmung und betrieblicher Mitbe-
stimmung, deren gedankliche Wurzeln
Von
Jobst-Hubertus Bauer
über 40 Jahre zurückreichen, nicht in
die heutige Zeit und in ein Umfeld, in
dem globale Strukturen, internationale
Zwänge und strenge Kapitalmarktvor-
schriften Standard sind. Das deutsche
Arbeitsrecht inklusive der „doppelten“
Mitbestimmung wird deshalb im In- und
Ausland nicht gerade als Standortvorteil
gesehen. Anders ist die Sicht etlicher
Arbeitsrechtler, die das deutsche Ar-
beitsrecht und dabei insbesondere die
Mitbestimmung als Standortvorteil prei-
sen. Die Frage, ob ein solches Recht ein
Standortvorteil ist oder nicht, kann aber
nicht subjektiv beantwortet werden.
Entscheidend ist vielmehr die Sicht der
Investoren.
Konsensmodell mit Fehlern
Die Kombination der Mitbestimmung
durch Aufsichtsräte und Betriebsräte
ist ein mit Fehlern behaftetes Konsens-
modell, das zu einem ständigen „Geben
und Nehmen“ führt. Kampfabstimmun-
gen im paritätisch besetzten Aufsichts-
rat, zumal unter Einsatz der Zweit-
stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden,
werden nach Möglichkeit vermieden
und sind deshalb äußerst selten. Kriti-
sche Stimmen zur Mitbestimmung sind
kaum von aktiven Vorstandsmitgliedern
großer Aktiengesellschaften zu verneh-
men. Warum? Weil andernfalls immer
wieder offen oder versteckt negative
Konsequenzen seitens der Arbeitneh-
merbank drohen. Das komplette Plenum
des Aufsichtsrats ist zum Beispiel für
die Frage des Ob und Wie der Beschäfti-
gung von Vorstandsmitgliedern zustän-
dig. Das gilt auch für die Verlängerung
ihrer Anstellungsverträge nach Ablauf
der jeweiligen Amtszeit. Eine Folge ist,
dass solche Führungskräfte logischer-
weise nicht alle „Sympathien“ bei der
Arbeitnehmerbank, insbesondere bei
dort vertretenen Gewerkschaftsfunk-
tionären und Betriebsratsmitgliedern,
verspielen wollen. Kopplungsgeschäfte,
besser gesagt faule Kompromisse, die
sich nicht in erster Linie am Wohl des
Unternehmens orientieren, gehören so
zum Unternehmensalltag.
Ein Nachteil des deutschen Mitbestim-
mungsrechts ist auch seine Überbüro-
kratisierung. Großunternehmen haben
es mit einer Vielzahl von Gremien, wie
Betriebsräten, Gesamt-, Konzern-, euro-
päischen Betriebsräten, Wirtschaftsaus-
schüssen und Aufsichtsräten, zu tun,
wobei die maßgebenden Personen auf
Arbeitnehmerseite meist in all diesen
Gremien Hüte aufhaben. Sehr zeitauf-
wendige Verfahren sind die Folge.
Bisherigen Schwellenwert erhalten
Vehement wird von Gewerkschaften
und ihnen nahestehenden Kreisen ge-
fordert, den derzeitigen Schwellenwert
von 2.000 Arbeitnehmern für die Gel-
tung der paritätischen Mitbestimmung
auf 1.000 zu senken. Zum Forderungs-
katalog gehört weiter, die Regelung zur
Konzernzurechnung nach § 5 MitbestG
auch im DrittelbG zu verankern. Nach
jetziger Rechtslage werden Arbeitneh-
mer, die in Konzerngesellschaften mit
mehr als 500, aber weniger als 2.001
Arbeitnehmern beschäftigt sind, der
Konzernobergesellschaft nur bei Vor-
liegen der besonderen Zurechnungs-
Baustellen der Mitbestimmung
STANDPUNKT.
Gewerkschaften und Teile der Politik wollen die Mitbestimmung
im Aufsichtsrat gesetzlich stärken. Geboten ist aber eine moderate Deregulierung.
© SIRTRAVELALOT / SHUTTERSTOCK.COM
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