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01/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
und bei den Schwellenwerten zu be-
rücksichtigen. Indes stünde dies im Wi-
derspruch zum eindeutigen Willen des
deutschen Gesetzgebers, der die Grenze
der europarechtskonformen Auslegung
bildet: Denn nach § 17 Abs. 5 KSchG
gelten „Mitglieder des Organs, das zur
gesetzlichen Vertretung der juristischen
Personen berufen ist“, nicht als Arbeit-
nehmer im Sinne des § 17 KSchG.
Dennoch: Wird der Geschäftsführer
selbst im Rahmen der Entlassungen
gekündigt und ist eine Anzeige bei der
Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht
oder nicht korrekt erfolgt (§ 17 Abs. 3
KSchG), besteht die Gefahr, dass er sich
auf die vermeintliche Unwirksamkeit
seiner Kündigung beruft. Daraus resul-
tieren rechtliche Unwägbarkeiten: Ob
die Nicht- oder Falschanzeige tatsächlich
zur Unwirksamkeit der Kündigung des
Geschäftsführers führt und ob er sich in
jedem Fall auf die Nicht-/Falschanzei-
ge berufen kann, ist bislang ungeklärt.
Zweifelhaft ist dies dann, wenn er selbst
zur Erstattung der Anzeige gegenüber
der BA berufen gewesen wäre und diese
unterlassen oder falsch erstattet hat.
Fazit: Es kommt auf den Einzelfall an
Arbeitnehmer oder nicht? Diese Frage
kann für (Fremd-)Geschäftsführer nicht
generell beantwortet werden. Auch hier
kommt es, wie so oft, auf die näheren
Umstände des Einzelfalls und die je-
weils betroffene Rechtsnorm an. Klar-
heit bringen nur die nach und nach
für einzelne Normen ergehenden Ent-
scheidungen, so wie jüngst die des LAG
Hamm zu § 104 BetrVG.
GESCHÄFTSFÜHRER ALS ARBEITNEHMER
SCHUTZVORSCHRIFTEN
Die Tabelle dient als grobe Orientierung. Ob tatsächlich ein Unterordnungsverhältnis im
Sinne der Rechtsprechung des EuGH besteht, ist im Einzelfall zu prüfen.
Die Übersicht gibt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einen ersten Überblick über die
wichtigsten arbeitsrechtlichen Vorschriften und Gesetze, bei denen der unionsrechtliche
Arbeitnehmerbegriff zugrunde zu legen ist und bei welchen nicht.
Ausgestaltung der Organstellung
Arbeitnehmer im unions-
rechtlichen Sinne
Gesellschafter-Geschäftsführer mit mindestens 50 Prozent Gesell-
schaftsanteilen
nein
Gesellschafter-Geschäftsführer mit Sperrminorität
nein
Geschäftsführer einer mitbestimmten GmbH nach dem MitbestG
nein
Geschäftsführer einer mitbestimmten GmbH nach DrittelbG
ja
Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer
ja
(Fremd-)Geschäftsführer
ja
Vorstand der AG
nein
Risiko der Einstufung des Geschäftsführers als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne
§ 17 KSchG (Massenentlassungsrichtlinie, Richtlinie 98/59/EG)
ja
AGG (Richtlinie 2000/78/EG, Richtlinie 2000/43/EG, Richtlinie 2002/73/EG)
ja
ArbZG (Arbeitszeit- und Urlaubsrichtlinie, Richtlinie 2003/88/EG)
ja
BEEG (Richtlinie 96/34/EG, Richtlinie 2010/18/10)
ja
BUrlG (Arbeitszeit- und Urlaubsrichtlinie, Richtlinie 2003/88/EG)
ja
Mutterschutzgesetz (Mutterschutzrichtlinie, Richtlinie 92/85/EWG)
ja
§ 1 KSchG
nein
ArbGG
nein
BetrVG (§ 5, § 104)
nein
Entgeltfortzahlungsgesetz
nein
LAG Hamm zutreffend. Beispiele hierfür
sind das Arbeitsgerichtsgesetz, das Ent-
geltfortzahlungsgesetz oder § 1 Kündi-
gungsschutzgesetz (KSchG). Mehr dazu
auch in der Übersicht auf dieser Seite.
Auswirkung bei Massenentlassungen
Einer der für die Praxis bedeutsams-
ten Fälle ist die Anwendbarkeit des
§ 17 KSchG auf den (Fremd-)Geschäfts-
führer. Zwar beruht § 17 KSchG auf
der Umsetzung einer europäischen
Richtlinie (Massenentlassungsrichtli-
nie), die den unionsrechtlichen Arbeit-
nehmerbegriff zugrunde legt. Erfüllt
der Geschäftsführer mithin dessen Vo-
raussetzungen, liegt es nahe, ihn für
die Massenentlassungsanzeige bei der
Anzahl der regelmäßig im Betrieb be-
schäftigten Arbeitnehmer mitzuzählen
PROF. DR. MICHAEL
KLIEMT
ist Fachanwalt und
Partner der Kanzlei Kliemt &
Vollstädt in Düsseldorf.
MICHAEL WETH
ist Rechts-
anwalt bei der Kanzlei Kliemt
& Vollstädt in Düsseldorf.