personalmagazin 1/2017 - page 69

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01/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
RECHT
_ARBEITNEHMERBEGRIFF
I
m Verhältnis zu Arbeitnehmern
des Unternehmens stehen die Ge-
schäftsführer als Organ der Ge-
sellschaft mit beiden Beinen im
Lager des Arbeitgebers. Sie werden als
Arbeitgeber wahrgenommen, erteilen
den Arbeitnehmern Weisungen, stellen
sie ein oder kündigen ihnen. Gegenüber
dem Betriebsrat treten sie ebenfalls für
den Arbeitgeber auf. Schon vor diesem
Hintergrund liegt es nahe, die Frage, ob
(Fremd-)Geschäftsführer Arbeitnehmer
sind, spontan mit einem klaren „Nein“ zu
beantworten. Nach der bisherigen Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)
und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wa-
ren Organmitglieder regelmäßig nicht als
Arbeitnehmer einzustufen.
Die Auswirkungen in der Praxis
Doch eindeutig und langlebig ist im
Arbeitsrecht wenig – schon gar nicht,
wenn der Europäische Gerichtshof
(EuGH) seine Finger im Spiel hat. Die-
ser hat 2010 und 2015 in mehreren Ent-
scheidungen einen weiten sogenannten
unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff
geprägt (EuGH vom 11.11.2010, Az.
C-232/09 „Danosa“; EuGH vom 9.7.2015,
Az. C-229/14 „Balkaya“ und EuGH vom
10.9.2015, Az. C-47/14 „Holtermann“).
Seitdem stellt sich die Frage neu, ob
und wann der (Fremd-)Geschäftsführer
einer GmbH für bestimmte nationale Ar-
beitsrechtsvorschriften als Arbeitneh-
mer einzustufen ist. Denn legt man den
unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff
zugrunde, kann diesem je nach betroffe-
Von
Michael Kliemt
und
Michael Weth
Vom Chef zum Arbeitnehmer
URTEIL.
Eigentlich tritt der Geschäftsführer einer GmbH als Arbeitgeber auf. Er kann
jedoch im Einzelfall als Arbeitnehmer gelten. Wann, das entscheiden die Gerichte.
ner nationaler Norm auch der deutsche
(Fremd-)Geschäftsführer unterfallen.
In der Praxis kann die Beantwortung
der Frage erhebliche Auswirkungen
haben. Bei Massenentlassungen kann
die Einstufung als Arbeitnehmer unter
Umständen sogar für die Wirksamkeit
der Kündigung des (Fremd-)Geschäfts-
führers maßgeblich sein. Aber auch für
andere Vorschriften, wie beispielsweise
demUrlaubsrecht (Mindesturlaub, Über-
tragbarkeit und Abgeltung von Urlaub),
kann sie Bedeutung erlangen.
Arbeitnehmer nach § 104 BetrVG?
Zu welchen „kuriosen“ Konstellatio-
nen die Rechtsprechung des EuGH bis-
weilen führen kann, verdeutlicht der
nachfolgende Fall: Dabei wollte der Be-
triebsrat eines Unternehmens sich den
unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff
zunutze machen und kurzerhand den
Geschäftsführer des Unternehmens
nach § 104 Satz 1 Betriebsverfassungs-
gesetz (BetrVG) aus dem Betrieb entfer-
nen lassen (LAG Hamm vom 2.8.2016,
Az. 7 TaBV 11/16). § 104 Satz 1 BetrVG
berechtigt den Betriebsrat, vom Arbeit-
geber die Entlassung oder Versetzung ei-
nes Arbeitnehmers zu verlangen, wenn
dieser den Betriebsfrieden wiederholt
ernstlich gestört hat und diese Störun-
gen auf einem gesetzeswidrigen Verhal-
ten beruhen oder durch grobe Verletzung
der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltenen
Grundsätze verursacht sind.
In dem Verfahren vor dem LAG Hamm
fühlte sich der Betriebsrat durch den Ge-
Der GmbH-Geschäftsführer: bei bestimmten Normen gilt er sogar als Arbeitnehmer.
© JOHANNESSPRETER / ADOBE STOCK
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