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RECHT
_ARBEITNEHMERBEGRIFF
personalmagazin 01/17
schäftsführer der Komplementärin der
Arbeitgeberin, einer GmbH & Co. KG, wie-
derholt nicht ausreichend und falsch in-
formiert. Dadurch sei der Betriebsfrieden
ernstlich gestört worden. Deshalb bean-
tragte das Gremium im Beschlussverfah-
ren, der Arbeitgeberin aufzugeben, den
Geschäftsführer der Komplementärin aus
demBetrieb zu entfernen. Der Betriebsrat
vertrat die Auffassung: Wenn schon die
Entfernung eines „kleinen“ Arbeitneh-
mers möglich sei, dann müsse die Vor-
schrift erst recht für den Geschäftsführer
gelten. Für diese Sichtweise glaubte der
Betriebsrat eine Stütze in der EuGH-
Rechtsprechung zum unionsrechtlichen
Arbeitnehmerbegriff gefunden zu haben.
Das LAG Hamm teilte diese Auffassung
nicht. Für den Anwendungsbereich des
BetrVG sei allein § 5 BetrVG maßgeblich.
Dieser lege in Abs. 2 im Wege der Fik-
tion fest, wer nicht als Arbeitnehmer im
Sinne des BetrVG gelte. Der Geschäfts-
führer einer GmbH & Co. KG falle dar-
unter, sodass § 104 BetrVG auf ihn keine
Anwendung finde. Hieran ändere auch
das unionsrechtliche Verständnis des
Arbeitnehmerbegriffs nichts. Denn dies
setze voraus, dass die Normen in Ausfül-
lung europäischer Richtlinien erlassen
wurden. Da § 104 BetrVG nicht auf der
Umsetzung einer, den unionsrechtlichen
Arbeitnehmerbegriff zugrunde legenden
EU-Richtlinie beruhe, sei der Arbeitneh-
merbegriff nicht im unionsrechtlichen
Sinne auszulegen. Nach dem Beschluss
des LAG Hamm findet § 104 BetrVG auf
Geschäftsführer daher keine Anwendung.
Entsprechendes gilt für Vorstandsmitglie-
der einer Aktiengesellschaft.
Der Geschäftsführer als Arbeitnehmer
Obwohl jede andere Entscheidung über-
raschend gewesen wäre, ist die klare
Positionierung für die Praxis begrüßens-
wert. Denn die Unsicherheit, welche
Vorschriften und Rechtsbereiche den Ge-
schäftsführer als Arbeitnehmer im uni-
onsrechtlichen Sinne erfassen, ist nach
den Entscheidungen des EuGH nach wie
vor groß. Daher stellt sich die Frage, in
welchen Konstellationen ein Geschäfts-
führer überhaupt Arbeitnehmer im uni-
onsrechtlichen Sinne sein kann.
Der EuGH bejahte in seinen Entschei-
dungen die Arbeitnehmereigenschaft
eines Organs der Gesellschaft unter der
Voraussetzung, dass zwischen demOrgan
und der Gesellschaft ein Unterordnungs-
verhältnis vorliegt. Ein solches sei bereits
dann gegeben, wenn die Tätigkeiten nach
Weisung oder Aufsicht ausgeübt werden
und jederzeit eine Abberufung vom Amt
erfolgen könne (EuGH vom 11.11.2010,
Az. C-232/09 „Danosa“, Rz. 51; EuGH
vom 9.7.2015, Az. C-229/14 „Balkaya“,
Rz. 39). Die rechtliche Qualifikation des
zugrunde liegenden Beschäftigungsver-
hältnisses nach dem nationalen Recht sei
hingegen irrelevant.
Unter Zugrundelegung dieser Kri-
terien kann jedenfalls der Fremdge-
schäftsführer als Arbeitnehmer im
unionsrechtlichen Sinne einzustufen
sein. Denn für diesen besteht die Mög-
lichkeit, wenn keine weiteren Vereinba-
rungen mit der Gesellschaft getroffen
wurden oder das Mitbestimmungsgesetz
eingreift, ihn jederzeit gegen seinenWil-
len abzuberufen. Gleichzeitig unterliegt
er den Weisungen und der Aufsicht der
Gesellschafterversammlung. Die Kri-
terien des EuGH knüpfen jedoch nicht
an die Frage an, ob der Geschäftsführer
Gesellschaftsanteile hält. Grundsätzlich
kann daher auch der Gesellschafter-Ge-
schäftsführer Arbeitnehmer im unions-
rechtlichen Sinne sein.
Keine Tätigkeiten nach Weisung
Nach den Kriterien des EuGH dürfte
eine Arbeitnehmereigenschaft dagegen
in folgenden Konstellationen abzuleh-
nen sein: Besitzen Geschäftsführer min-
destens 50 Prozent der Gesellschaftsan-
teile, üben sie ihre Tätigkeit regelmäßig
nicht nach Weisung oder Aufsicht aus.
Gleiches gilt bei Geschäftsführern, die
zwar weniger als 50 Prozent der Gesell-
schaftsanteile besitzen, aber aufgrund
der Satzung eine Sperrminorität haben.
Denn sie können Weisungen verhindern
und führen ihre Tätigkeit dementspre-
chend ebenfalls nicht nach Weisung aus.
Schließlich dürfte auch die Einstufung
von Geschäftsführern solcher Gesell-
schaften als Arbeitnehmer ausscheiden,
die nach dem Mitbestimmungsgesetz
(MitbestG) mitbestimmt sind, da für die-
se kraft Gesetzes die Regeln des Aktien-
gesetzes (AktG) für die Bestellung und
Abberufung von Vorstandsmitgliedern
gelten. Danach kann der Geschäftsfüh-
rer nur aus wichtigem Grund abberufen
werden, § 31 MitbestG in Verbindung
mit § 84 Abs. 3 AktG. Die Vorausset-
zung der jederzeitigen Abberufbarkeit
dürfte daher nicht vorliegen.
Für Vorstandsmitglieder einer Aktien-
gesellschaft dürfte nach den vom EuGH
aufgestellten Kriterien eine Arbeitneh-
mereigenschaft ebenfalls zu verneinen
sein. Denn sie sind selbstständig und
frei von Weisungen tätig. Zudem ist de-
ren jederzeitige Abberufbarkeit kraft Ge-
setzes (§ 84 Abs. 3 AktG) eingeschränkt.
Unionsrechtliche Vorgabe für Gesetz?
Das unionsrechtliche Verständnis des
Arbeitnehmerbegriffs setzt bei der An-
wendung des nationalen Rechts stets
voraus, dass es sich um solche Rechts-
vorschriften handeln muss, die in Aus-
füllung der erlassenen europäischen
Richtlinien ergangen sind. Soweit mit-
hin nationale Normen auf der Umset-
zung von Richtlinien beruhen, die den
unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff
zugrunde legen, ist davon auszuge-
hen, dass diese Schutzgesetze auch für
(Fremd-)Geschäftsführer Anwendung
finden können. Auf der Umsetzung sol-
cher EU-Richtlinien beruhen beispiels-
weise das Mutterschutzgesetz, das
allgemeine Gleichbehandlungsgesetz,
das Arbeitszeitgesetz sowie das Bun-
desurlaubsgesetz. Dagegen dürfte der
unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff
nicht für Gesetze und Rechtsnormen
gelten, die nicht auf unionsrechtlichen
Vorgaben beruhen. Daher ist bei diesen
allein der nationale Arbeitnehmerbe-
griff maßgeblich. Dies betont auch das