personalmagazin 10/2016 - page 71

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RECHT
_MOBILES ARBEITEN
10/16 personalmagazin
D
ie Freiheit bei der Wahl des Arbeitsorts gilt bei vie-
len Unternehmen als die herausragende Entwick-
lung bei der Digitalisierung von Arbeit. Sie erlaubt
es, ohne Rücksicht auf nationale Grenzen Arbeits-
organisationen zu bilden und zu führen. Dringend benötigtes
Personal kann im Ausland rekrutiert und in Deutschland ein-
gesetzt werden, ohne die Mitarbeiter dauerhaft in Deutschland
tatsächlich zu beschäftigen. Auch Mitarbeiter, die in
Deutschland arbeiten und grenznah im Ausland
wohnen, können ihre Homeoffice-Tätigkei-
ten ohne Berücksichtigung nationaler
Grenzen erbringen. So chancenreich
diese Arbeitsformen sein mögen, sie
bergen auch Herausforderungen. Da-
rauf muss HR vorbereitet sein. Denn
trotz aller Vorteile von mobiler Ar-
beit auch über Landesgrenzen hin-
weg, bedarf es auch eines Blickes
auf die Risiken.
Das beginnt bereits mit der Frage
nach dem anwendbaren Recht: Die
Arbeitsvertragsparteien sind bei der
Wahl nur eingeschränkt frei. So können
zum Beispiel trotz einer eindeutigen ver-
traglichen Bestimmung, dass deutsches Recht
gelte, Regelungen eines anderen Staates zur An-
wendung kommen, die so nicht gewollt waren. Zu den-
ken ist etwa an verpflichtende Vorschriften mancher Staaten,
im Fall der Kündigung eine Abfindung zu zahlen. Generell
regelt zwar Artikel 8 der Rom-I-Verordnung das internationale
Arbeitsrecht, jeder Fall bedarf jedoch individueller Betrach-
tung. Letztlich muss HR – um die Anwendung des gewählten
Rechts sicherzustellen – prüfen, in welchem Umfang der ein-
zelne Arbeitnehmer von welchem Tätigkeitsort seine Arbeiten
erbringt. Gleiches gilt übrigens für den Gerichtsstand: Um die
deutsche Gerichtsbarkeit sicherzustellen, darf HR den Um-
fang der im Ausland erbrachten Tätigkeit nicht aus dem Blick
verlieren.
Von
Manteo Eisenlohr
Ein Haftungsrisiko des Unternehmens besteht auch bei sozi-
alversicherungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit im
Ausland tätigen Arbeitnehmern. Ein Beispiel sind sogenannte
Gesamtbruttovereinbarungen, nach denen Arbeitnehmer das
volle „Arbeitgeberbrutto“ als Gehalt erhalten und die Zahlung
von Sozialversicherung und Steuer selbst übernehmen sollen.
Zahlen sie die Beiträge jedoch nicht und ist deutsches Sozial-
versicherungsrecht anzuwenden, haftet der Arbeitgeber.
Ob deutsches Sozialversicherungsrecht anzuwenden ist, ist
(auch) einzelfallabhängig. Generell gilt aber Artikel
13 der Verordnung EU 883/2004 zur Koordi-
nierung der Systeme der sozialen Sicher-
heit. Danach ist bei einer zu über 75
Prozent in Deutschland erbrachten
Tätigkeit das hiesige Sozialversiche-
rungsrecht anwendbar. Hier lohnt
sich eine klare Regelung im Ar-
beitsvertrag und eine Dokumen-
tation der geleisteten Arbeit und
des Arbeitsorts. Ein Haftungsri-
siko besteht auch, wenn eine grö-
ßere Anzahl von Arbeitnehmern
regelmäßig im Ausland tätig ist.
Dann könnten ausländische Steuer-
behörden das Bestehen eines Betriebs
in ihrem Land annehmen. Damit droht
dem Arbeitgeber dort zum Beispiel die
Gewerbesteuerpflicht. Auch hier ist eine Doku-
mentation von großer Bedeutung.
Undnichtzuletzt:dieZuständigkeitdesBetriebsrats.Istdieser
bei der Kündigung eines imAusland tätigen Mitarbeiters anzu-
hören? Bedarf es der Zustimmung bei einer Versetzung? Wich-
tige Fragen, denn: Wird das Betriebsverfassungsrecht miss-
achtet, können die Maßnahmen insgesamt unwirksam sein.
KOLUMNE.
Mit der Digitalisierung geht oft die freie Wahl des Arbeitsorts einher.
Neben überragenden Vorteilen sollten Personaler auch die Risiken im Blick behalten.
Digitale Grenzenlosigkeit?
DR. MANTEO EISENLOHR,
Rechtsanwalt und
Partner bei K&L Gates LLP, äußert sich regelmäßig an
dieser Stelle zu den aktuellen Entwicklungen in der
digitalen Arbeitswelt.
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