personalmagazin 11/2015 - page 26

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TITEL
_FRAUENQUOTE
personalmagazin 11/15
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Gesetzgeber mitbestimmungspflichtige
oder börsennotierte Unternehmen dazu
verpflichtet, Zielgrößen zur Erhöhung des
Frauenanteils und Fristen zu deren Errei-
chung in Aufsichtsrat, Vorstand und den
oberen Managementebenen festzulegen.
Der Kreis der betroffenen Unterneh-
men umfasst neben Aktien- und Kom-
manditgesellschaften auf Aktien auch
Gesellschaften mit beschränkter Haftung,
eingetragene Genossenschaften und Ver-
sicherungsvereine auf Gegenseitigkeit.
Zu den von den Regelungen erfassten mit-
bestimmten Unternehmen gehören nicht
nur Unternehmen, die der paritätischen
Mitbestimmung unterliegen, sondern
auch drittelmitbestimmte Unternehmen
(mit in der Regel mehr als 500 Arbeitneh-
mern). Ferner tangiert sind Unterneh-
men in der Rechtsform der Europäischen
Gesellschaft (SE), die börsennotiert sind
oder der Mitbestimmung unterliegen.
Schätzungen gehen von insgesamt 3.500
betroffenen Unternehmen aus.
Der Aufsichtsrat wird verpflichtet,
Zielgrößen für die Erhöhung des Frau-
enanteils im Aufsichtsrat und im Vor-
stand durch Beschluss festzulegen. Für
den Aufsichtsrat müssen nur dann kei-
ne Zielgrößen festgelegt werden, wenn
für diesen bereits die gesetzliche Min-
destquote von 30 Prozent einzuhalten
ist. Bei der drittelmitbestimmten GmbH
entscheidet die Gesellschafterversamm-
lung oder der Aufsichtsrat über die Fest-
legung der Zielgrößen innerhalb der
Geschäftsführung einer GmbH.
Da es nach dem Gesetzgeberwillen
nicht ausreicht, nur den Frauenanteil in
Vorstand und Aufsichtsrat mit gesetz-
lichen Maßnahmen zu erhöhen, ist der
Vorstand verpflichtet, Zielgrößen auch
für den Frauenanteil in den „beiden Füh-
rungsebenen unterhalb des Vorstands“
festzulegen. Als problematisch erweist
sich hierbei, dass das Gesetz den Begriff
der beiden Führungsebenen unterhalb
des Vorstands nicht näher definiert. Ei-
nen Hinweis auf die Vorstellungen des
Gesetzgebers gibt jedoch die Gesetzesbe-
gründung. Danach sind die beiden Füh-
rungsebenen unterhalb des Vorstands
nicht nach betriebswirtschaftlicher Lehre
zu definieren (wie etwa Top-Management
et cetera), sondern anhand den tatsäch-
lich in konkreten Unternehmen einge-
richteten Hierarchieebenen unterhalb
des Vorstands; es muss sich allerdings
um eine Personalebene mit Leitungsauf-
gaben handeln. Sofern es nur eine solche
Ebene gibt, ist auch nur für diese eine
Ebene eine Zielgröße aufzustellen. Perso-
nalebenen ohne Führungsaufgaben wer-
den nicht erfasst. Ausgangspunkt für die
Ermittlung der Führungsebenen ist die
jeweilige juristische Person (und nicht
etwa eine konzernweite Sicht).
Vorgaben für Zielgröße und Fristen
Den Unternehmen wird zwar keine Min-
destzielgröße auferlegt, jedoch werden
folgende Vorgaben für die Zielgrößen
und die Fristen gemacht: Liegt der Frau-
enanteil in einer Organ- beziehungswei-
se Führungsebene bei Festlegung der
Zielgrößen unter 30 Prozent, dürfen die
jeweils festzusetzenden Zielgrößen nicht
hinter dem Status Quo zurückbleiben.
Besteht ein Frauenanteil von 30 Prozent
oder mehr, darf die Zielgröße für die ent-
sprechende Führungsebene den erreich-
ten Wert wieder unterschreiten. Zudem
sind Fristen zur angestrebten Erreichung
der Zielgrößen festzulegen. Die erstmals
festzulegende Frist darf nicht länger als
bis zum 30. Juni 2017 dauern; anschlie-
ßend beträgt die Höchstfrist fünf Jahre.
Die Zielgrößen mussten erstmals bis
zum 30. September 2015 formuliert und
dokumentiert werden. Die Gestaltungs-
möglichkeiten sind vielfältig: Denkbar
ist etwa, dass die Planung bereits eine
Endgröße vorsieht, die stufenweise er-
reicht werden soll. Möglich ist aber auch,
nur eine Stufe vorzusehen oder die Erhö-
hung des Frauenanteils Stufe um Stufe
zu planen. Ferner denkbar ist, dass das
Unternehmen bereits eine angemessene
Beteiligung von Frauen auf allen oder ei-
nigen Ebenen feststellt und der Vorstand
deshalb keine weitere Erhöhung festlegt.
Die Nichteinhaltung der selbstgesetz-
ten Zielgrößen ist zwar unerwünscht,
führt aber (nur) zu einer Begründungs-
pflicht im Lagebericht nach § 289a Abs.
2 Nr. 4, Abs. 3, Abs. 4 HGB-E („comply or
explain“). Eine gesetzliche Sanktion ist
(bisher) nicht vorgesehen.
Ausblick
Es wird sich zeigen, ob die Unternehmen
aktiv mit den Neuregelungen umgehen,
was aber eher unwahrscheinlich ist. An-
sonsten wird die „Feinjustierung der ge-
setzlichen Regelungen“, etwa im Hinblick
darauf, ob in der Verfehlung selbstge-
steckter Ziele ein Indiz für eine mittelbare
Benachteiligung wegen des Geschlechts
im Sinne des AGG liegt oder ob das Feh-
len eines Qualifizierungsvorbehalts für
weibliche Führungskräfte grundgesetz-
konform ist, gegebenenfalls Aufgabe der
Rechtsprechung. Fraglich ist ohnehin, ob
nicht die Nachfragesituation durch weib-
liche Führungskräfte hinsichtlich Förde-
rung faktisch die rechtlichen Implikatio-
nen überlagern oder gar dominieren wird.
Es bleibt also spannend.
DR. RALF KITTELBERGER
ist Fachanwalt
für Arbeitsrecht in der SLP Anwaltskanzlei
Dr. Seier & Lehmkühler GmbH in Reutlingen.
DR. TINA KÄRCHER-HEILEMANN
ist
Fachanwältin für Arbeitsrecht in der SLP An-
waltskanzlei Dr. Seier & Lehmkühler GmbH
in Reutlingen.
Als problematisch er-
weist sich in der Praxis,
dass das Gesetz den
Begriff der beiden Füh-
rungsebenen unterhalb
des Vorstands nicht
näher definiert.
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