personalmagazin 8/2015 - page 74

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RECHT
_TARIFVERTRÄGE
personalmagazin 08/15
Gerade in höherrangigen Positionen vereinbaren Arbeitgeber und Beschäftigter ein
außertarifliches Arbeitspapier. Dabei ist der Blick auf den Geltungsbereich des Tarif-
vertrags zu richten.
„Die Parteien schließen folgenden außertariflichen Arbeitsvertrag.“ Wenn tarifgebundene
Unternehmen mit einer solchen Formulierung arbeiten, wollen sie erreichen, dass für
diesen Mitarbeiter ein Tarifvertrag gerade nicht gelten soll. Ist dieser Mitarbeiter in der
Gewerkschaft, so ist ein solcher Vertrag nur sinnvoll, wenn es sich um eine Tätigkeit bezie-
hungsweise Position handelt, die vom Tarifvertrag selbst ausdrücklich aus dem tariflichen
Geltungsbereich ausgeklammert wird. Ist dieser Mitarbeiter nicht in der Gewerkschaft, so
kann mangels normativer Tarifbindung auch bei „normalen“ Tätigkeiten vom Tarifvertrag
abgewichen werden. Dieser Mitarbeiter kann aber durch schlichten Gewerkschaftsbeitritt
die vom Tarifvertrag abweichenden Vertragsbestandteile unwirksam werden lassen.
Der Irrtum mit AT-Verträgen
HINWEIS
100 Prozent liegen dürfte, heißt das zu­
nächst: Entschließt sich ein Unterneh­
men, einem tarifschließenden Arbeit­
geberverband beizutreten oder Partner
eines Haustarifvertrags zu werden, be­
steht die normative Pflicht, sich an ei­
nen Tarifvertrag zu halten, nur für den
Teil der Belegschaft, die Gewerkschafts­
mitglieder sind. Und nicht nur das: Das
Beispiel der Auseinandersetzung zwi­
schen der Gewerkschaft der Lokführer
und der Deutschen Bahn zeigt, dass die
Beantwortung der Frage, wann eine nor­
mative Tarifbindung besteht, auch noch
davon abhängen kann, in welcher Ge­
werkschaft der jeweilige Mitarbeiter ist.
Die arbeitsrechtlich gespaltene
Belegschaft ist Realität
Daraus folgt, dass Unternehmen hinsicht­
lich ihres arbeitsrechtlichen Vertrags­
gestaltungsspielraums zwei Gruppen
von Arbeitnehmern gegenüberstehen:
denen, die in der (richtigen) Gewerk­
schaft sind und bei denen auch ohne Hin­
weis im Arbeitsvertrag der Tarifvertrag
normative Wirkung entfaltet, und denen,
die nicht in der (richtigen) Gewerkschaft
sind und bei denen die Arbeitsbedin­
gungen im Rahmen der allgemeinen
arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit ohne
Rücksichtnahme auf die Bestimmungen
des Tarifvertrags frei gestaltet werden
können. So wäre es insoweit durchaus
denkbar, mit Mitarbeitern der letzteren
Gruppe einen über die tarifliche Arbeits­
zeit hinausgehenden Arbeitsvertrag über
eine 40-Stunden-Woche abzuschließen
und dies mit einem erheblichen Lohnzu­
schlag zu kompensieren.
Angenommen, jedem Personalver­
antwortlichen ist bewusst, dass diese
Möglichkeiten der Differenzierung exis­
tieren: Es werden sich wohl – wenn
überhaupt – nur in wenigen Unterneh­
men solche Arbeitsverträge finden, bei
denen von dieser legalen Möglichkeit
Gebrauch gemacht wird. Der Grund liegt
auf der Hand: Jeder nicht tarifgebundene
Mitarbeiter hat es in der Hand, durch
schlichten Beitritt in die Gewerkschaft
die normative Wirkung eines Tarifver­
trags herbeizuführen. Nimmt er diese
Möglichkeit wahr, so würde die vormals
legale Abweichung von einem Tarifver­
trag vom Beitritt in die Gewerkschaft an
unwirksam, da eine einzelvertragliche
Abweichung von einem normativ gel­
tenden Tarifvertrag nicht möglich ist.
Die traditionelle Folge dieser Situa­
tion ist: Die meisten Unternehmen, die
sich für eine Tarifbindung entschieden
haben, verhalten sich faktisch gegen­
über allen Mitarbeitern so, als wenn ihr
Tarifvertrag unterschiedslos normative
Wirkung hätte und stellen dies durch
einen entsprechenden Hinweis „auf die
Das Interesse an der Gewerkschaftszugehörigkeit hat im Bewerbungsverfahren im
Grundsatz nichts zu suchen. Während des Arbeitsverhältnisses kann die Frage jedoch
durchaus notwendig sein.
„Sind Sie Gewerkschaftsmitglied?“ Wenn diese Frage im Rahmen von Einstellungsge-
sprächen oder in einem Bewerbungsfragebogen gestellt wird, handelt es sich um eine
unzulässige Frage, bei der dem Bewerber ein sogenanntes Recht zur Lüge zugestanden
wird. Anders sieht es jedoch im laufenden Beschäftigungsverhältnis aus. Hier ist die
Frage immer dann erlaubt, wenn dies für die Berechnung des Lohns oder zur Einhaltung
sonstiger Tarifvorschriften notwendig ist. Erst recht dann, wenn in einem Tarifvertrag eine
zulässige Differenzierungsklausel besteht. Völlig neue Bedeutung hat die Frage nach der
Gewerkschaftszugehörigkeit durch die Aufgabe der Rechtsprechung zur Tarifeinheit er-
langt. Da es insoweit möglich ist, dass in einem Unternehmen mehrere Tarifverträge gel-
ten, sind unter Umständen auch Angaben zur Frage, welche Gewerkschaftszugehörigkeit
besteht, notwendig. Allerdings wird insoweit ein aktuelles BAG-Urteil zu berücksichtigen
sein (Urteil vom 18.11.2014, Az. 1 AZR 257/13). Darin wurde einem Arbeitgeberverband
untersagt, sein Fragerecht im Vorfeld von Tarifergebnissen schon im Rahmen von Tarifver-
handlungen auszuüben. Es muss also ein konkreter objektiver Anlass bestehen.
Ist die Gewerkschafts-Frage erlaubt?
DISKRIMINIERUNG
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