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08/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Geltung des Tarifvertrags“ gegenüber
den Arbeitnehmern in den Arbeitsver­
trägen klar.
Exklusive Besserstellung im
Interesse der Gewerkschaft
Dass Unternehmen von der Möglichkeit,
zwischen Mitarbeitern mit und ohne
Gewerkschaftsausweis zu differenzie­
ren, bisher so gut wie keinen Gebrauch
machen wollen, hat aber auch eine un­
ternehmerpolitische Bedeutung. Man
stelle sich vor, ein Unternehmen käme
auf die Idee, eine bestimmte tarifver­
tragliche Leistung nur dann zu gewäh­
ren, wenn es „sein muss“, sprich wenn
der Mitarbeiter in der (richtigen) Ge­
werkschaft ist. Er dürfte sich in einem
solchen Fall über das anschließende An­
steigen des gewerkschaftlichen Organi­
sationsgrads nicht wundern.
Im Gegenzug dürfte nachvollziehbar
sein, dass die Gewerkschaften gerade
ein hohes Interesse daran haben, dass
Unternehmen für ihre Mitglieder eine
exklusive Besserstellung durchführen.
Das wirft jedoch folgende Frage auf:
Können die Gewerkschaften im Wege
von Tarifverhandlungen oder gegebe­
nenfalls durch Streiks durchsetzen,
dass Leistungen eines Tarifvertrags nur
Gewerkschaftsmitgliedern zugutekom­
men?
Die Antwort mag zunächst verblüf­
fend klingen: Selbstverständlich dürfen
sie dies, denn es liegt in der Natur von
Tarifverhandlungen, dass die daran be­
teiligten Gewerkschaften nur Ansprü­
che ihrer Mitglieder begründen können.
Nicht aus der Natur von Tarifverhand­
lungen ergibt sich dagegen ein Verbot,
Tarifverträge auch freiwillig auf nicht ge­
werkschaftlich organisierte Mitarbeiter,
sogenannte Außenseiter, anzuwenden.
Was aber wäre, wenn es einer Gewerk­
schaft gelänge, in einen Tarifvertrag ei­
ne solche Differenzierungsklausel für
Gewerkschaftsmitglieder ausdrücklich
hinein zu verhandeln oder zu erstreiten?
Müssten sich dann die tarifgebundenen
Unternehmen daran halten?
Die Antwort lautet zunächst: nein. Eine
solche Vereinbarung wäre verfassungs­
widrig, weil es gegen die sogenannte
„negative Koalitionsfreiheit“ verstößt.
Sie würde nämlich die Außenseiter fak­
tisch dazu zwingen, der Gewerkschaft
beizutreten. So musste sich das Bundes­
arbeitsgericht (BAG) im Jahr 2011 (Ur­
teil vom 23.3.2011, Az. 4 AZR 366/09)
mit der Wirksamkeit einer sogenannten
„Spannenklausel“ beschäftigen. Dies
waren Verhandlungsergebnisse, die in
Tarifverträgen absichern sollten, dass
Gewerkschaftsmitglieder immer einen
definierten prozentualen Gehaltsvor­
sprung vor ihren nicht organisierten
Kollegen haben. „Wegen Überschreitung
der Tarifmacht“, so das BAG, seien derar­
tige Klauseln unwirksam.
Konkrete Sonderzahlung für
Gewerkschafter wirksam
Was aber ist, wenn nicht der Tarifvertrag
als Ganzes oder bestimmte Abschnitte
in Tarifverhandlungen als „Exklusiv­
leistung“ bezeichnet werden, sondern
es den Gewerkschaften gelingt, einzelne
Zuwendungen, etwa eine Sonderzah­
lung oder eine „Erholungsbeihilfe“, aus­
schließlich für Gewerkschaftsmitglie­
der in den Tarifvertrag zu bekommen?
An dieser Stelle ist Schluss mit einem
pauschalen Verweis auf die „negative
Koalitionsfreiheit“. Vielmehr ist jede
dieser Leistungen auf ihre Zulässigkeit
abzuklopfen.
Im Jahr 2013 hat das BAG den Weg
für einzelne Fallgestaltungen geöffnet,
bei denen tarifliche Regelungen (im
entschiedenen Fall ging es um eine Son­
derzahlung), die an die Gewerkschafts­
zugehörigkeit anknüpfen, tatsächlich
zulässig sind (Urteil vom 21.8.2013, Az.
4 AZR 861/11). Seitdem vergeht kaum ei­
ne Tarifverhandlung, in der nicht an der
einen oder anderen Stelle eine Leistung
auftaucht, diemit einer Differenzierungs­
klausel ausgestattet ist. Dementspre­
chend sind die Arbeitsgerichte reichlich
mit der Überprüfung im Auftrag der
Unternehmen, die die Unterscheidungen
nach der Gewerkschaftszugehörigkeit
scheuen, beschäftigt. Nicht wenige Ar­
beitgeber haben sich inzwischen jedoch
mit dieser ungewohnten Rechtslage ab­
gefunden, was dann allerdings mit einer
Frage nach der Gewerkschaftszugehörig­
keit (siehe Kasten) einhergehen muss.
Ist in diesen Unternehmen damit der
Rechtsfrieden für die Arbeitgeber durch
Nachgeben und Verzicht auf eine Klage
gerettet? Keineswegs, denn in diesen
Fällen müssen die Arbeitgeber damit
rechnen, dass sie mit Klagen derjenigen
Mitarbeiter überzogen werden, die nicht
in der Gewerkschaft sind und auch nicht
gezwungen werden wollen, wegen des
Vorteils einer einzelnen tariflichen Leis­
tung einzutreten.
LAG: Zulässige Differenzierung im
Sozialtarifvertrag
Auch hier gibt es mittlerweile ein rich­
tungsweisendes LAG-Urteil. In dem
konkreten Fall war in einer Differenzie­
rungsklausel festgelegt, dass Gewerk­
schaftsmitglieder aus einem Sozialtarif­
vertrag eine höhere Abfindung als ihren
nichtorganisierten Kollegen zusteht
(LAG München, Urteil vom 10.2.2015,
Az. 9 Sa 662714). Eine zulässige Unter­
scheidung, entschieden die bayrischen
LAG-Richter. Allerdings muss noch das
BAG über die eingelegte Revision ent­
scheiden.
Urteil
Das BAG-Urteil vom 23.3.2011, Az. 4
AZR 366/09, im Volltext (HI2727695)
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
ARBEITSHILFE
THOMAS MUSCHIOL
ist
Rechtsanwalt mit Schwerpunkt
im Arbeits- und Sozialversiche-
rungsrecht in Freiburg.
1...,65,66,67,68,69,70,71,72,73,74 76,77,78,79,80,81,82,83,84
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