personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
04_2019
R
wahrscheinlich. Die Mehrheit wird sich
beständig verändern, ob mit oder ohne
Geflüchtete, da Kultur nicht statisch ist
und immer von den Menschen gestaltet
wird, die in einem bestimmten Gebiet
zusammenleben. Das passiert ja bereits
in Küche, Mode, Kunst, Musik, wo viele
Einflüsse fusionieren.
Mir ist das manchmal zu viel. Dann freue
ich mich auf die Thüringer Küche meines
Mannes oder die serbischen Menüs mei-
ner Mutter, die keinerlei Durchmischung
mit irgendwas haben. Einfach und ehr-
lich. Auch wenn die interkulturelle Per-
sönlichkeitsentwicklung zumindest in
Deutschland im Moment bei Schritt sechs
aufhört, wird dies nicht so bleiben. Etwas
Neues wird entstehen, was sich aus den
Traditionen aller in Deutschland leben-
den Personen zusammensetzt. Und das
werden dann in nicht unbeträchtlicher
Weise Menschen mit diversen kulturellen
Hintergründen sein. Schritt sieben ist die
Co-Kreation einer gemeinsamen Kultur.
Davor haben einige Angst. Dabei liegt es
doch an jedem einzelnen Menschen, das
zu leben und weiterzuvermitteln, was
ihm als schön und gut erscheint.
Es ist wesentlich geschickter und ziel-
führender, sich mit dem Thema inter-
kulturelle Persönlichkeitsentwicklung
jetzt schon zu befassen, um die Trends
zu verstehen und entsprechend hand-
lungskompetent zu bleiben. Das, was in
Zukunft gesellschaftlich ansteht, kann
bereits heute in Ihrem Unternehmen mit
interkulturellen Teams eingeführt und
geübt werden. Wesentlich für die persön-
liche Handlungskompetenz ist, Interkul-
turalität aus verschiedenen Blickwinkeln
betrachten zu können. Die Fähigkeit zum
Perspektivwechsel ist übrigens eine Kern-
kompetenz erfolgreicher Menschen.
Kultur ist nur ein Teilaspekt
unserer Persönlichkeit
Es gibt kein Patentrezept, wie Sie inter-
kulturelle Teams führen sollen. Es gibt
auch keine besonderen Tools, mit denen
der Erfolg interkultureller Teams garan-
tiert werden kann. Das ist vielleicht die
schlechte Nachricht. Es ist dennoch
möglich, aus interkulturellen Teams die
innovativsten, kreativsten und stärksten
Teams zu machen, wenn Sie umsichtig,
reflektiert und wertschätzend an der Aus-
bildung einer interkulturell kompetenten
Organisation arbeiten und Ihren Mitar-
beitenden den dafür nötigen Gestaltungs-
spielraum lassen. Das ist die gute Nach-
richt und eine realisierbare Option. Kultur
geht ans Eingemachte, an die Essenz, an
das, was jeden Einzelnen ausmacht und
das ist immer komplex, vielschichtig und
kaum zu durchdringen. Die wenigsten
von uns haben Einblick in ihre eigene
Kultur, geschweige denn in eine andere.
Auch wenn sich Stereotype eignen, um
etwas einfacher zu machen, so sind sie
denkbar ungeeignet in einem Team und
haben dort auch nichts zu suchen. Denn
Kultur ist immer nur ein Teilaspekt eines
Menschen. Bildungsstand, Geschlecht,
familiärer Hintergrund, persönliche Prä-
ferenzen, kontextuelle und situative Fak-
toren und vieles mehr bestimmen, wer
wir sind.
Unsere Gefühle können ein
(interkultureller) Radar sein
Sie haben es selbst in der Hand, ob und
wie die Führung beziehungsweise Mo-
deration und Befähigung Ihres Teams
gelingt. Wenn Sie es schaffen, die hier
skizzierten kulturrelevanten Dimensio-
nen zu begreifen, sich selbst in ihnen zu
sehen, zu reflektieren, was Sie kulturell
ausmacht, was unumstößlich für Sie ist,
was verhandelbar und was schlichtweg
unnötig und sperrig ist, dann machen Sie
sich selbst den Weg frei, gelassener und
erfolgreicher in der Führung interkulturel-
ler Teams zu sein.
Wichtig ist, dass Sie sich nicht allzu ernst
nehmen sollten bei all der Reflexion. Es
mag sein, dass alles so ist, wie Sie es
im Moment sehen, aber in einem oder
zwei Jahren kann sich auch einiges ver-
ändert haben. Schmunzeln Sie einfach
zwischendurch darüber und gönnen Sie
sich das ehrliche Eingeständnis, dass Sie
schon so manches Mal töricht und unan-
gemessen reagiert haben. Dann können
Sie es anderen nämlich besser verzeihen.
Achten Sie auf Ihre Gefühle und gehen
Sie offen mit sich selbst um. Ihre Gefühle
sind ein Radar, der darauf hinweist, dass
es etwas zu erforschen gilt, was Sie viel-
leicht vernachlässigt haben. Intelligenz
und Kreativität, zwei essenzielle Quali-
täten erfolgreicher (interkultureller) Füh-
rung, speisen sich auch aus Ihrem Ge-
fühlsfundus. Damit meine ich nicht, un-
gefilterte Affekte auszuleben, sondern ein
vertieftes Verständnis davon herzustel-
len, dass es jenseits Ihrer Gefühle einen
Horizont gibt, den es zu erweitern gilt.
Dabei kann Ihnen die Kenntnis über Ihre
eigenen Befindlichkeiten sehr behilflich
sein. Führen interkultureller Teams setzt
Geduld, Wohlwollen, Hingabe und Risi-
kobereitschaft voraus. Wer nichts wagt,
der nichts gewinnt!
Etwas wagen bedeutet in diesem Zusam-
menhang, über den eigenen Tellerrand
zu schauen, sich zu hinterfragen, etwas
Neues auszuprobieren und sich von
übereilten Wertungen fernzuhalten. Ja,
sogar sich einer Kultur einmal komplett
auszuliefern, ohne Wenn und Aber. Na-
türlich wird Sie dies, genauso wie andere
Veränderungsprozesse, auch etwas »kos-
ten«, nämlich Phasen der Instabilität und
des Zweifels. Und dennoch lohnt es sich
oder gerade deshalb lohnt es sich, sich
achtungsvoll und offen mit Interkultura-
lität zu beschäftigen und den Raum für
Verschiedenheit zu lassen, denn wie sagte
Ben Jelloun: „Wer andere Menschen ach-
tet, würdigt dadurch das Leben in seiner
ganzen Schönheit, in seinem Zauber, sei-
ner Verschiedenheit und seiner Unerwar-
tetheit. Und wer andere würdig behan-
delt, zeigt damit auch Achtung vor sich
selbst.“
Sonja Andjelkovic
Sonja
Andjelkovic
ist seit 20 Jahren
Trainerin und sys-
temische Orga-
nisationsberaterin mit dem Schwer-
punkt Interkulturalität, Teambuilding
und Konfliktmanagement. Sie grün-
dete zusammen mit Simon Becker die
„Rootsfactory“ in Berlin.
Rootsfactory Consulting Network
Hugo-Vogel-Str. 31
D-14109 Berlin
AUTOR