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          wirtschaft + weiterbildung
        
        
          04_2019
        
        
          25
        
        
          Ohne Persönlichkeitsentwicklung kann
        
        
          es keine interkulturelle Führung geben,
        
        
          die erfolgreich umgesetzt wird. „Wasch
        
        
          mich, aber mach mich nicht nass“, diese
        
        
          sprichwörtliche Haltung funktioniert
        
        
          hier nicht. Sie müssen als Führungskraft
        
        
          schon Ihre Abgründe erforschen und ar-
        
        
          chäologische Ausgrabungen betreiben,
        
        
          um Ihre Prägungen ans Tageslicht, sprich
        
        
          in Ihr Bewusstsein zu holen und bear-
        
        
          beitbar zu machen. Dafür brauchen Sie
        
        
          neben der Bereitschaft und einer guten
        
        
          Begleitung durch einen Coach auch Ge-
        
        
          duld und Disziplin.
        
        
          Sobald die Versteinerungen aus alten Zei-
        
        
          ten vor Ihnen liegen, werden Sie sie sorg-
        
        
          fältig entstauben und zusammensetzen
        
        
          und sich entweder darüber amüsieren
        
        
          oder sich grämen. Die Gefühle, die Sie bei
        
        
          Prozessen der Persönlichkeitsentwicklung
        
        
          überkommen, lassen sich nicht immer so
        
        
          einfach aushalten. Ich rate Ihnen, lassen
        
        
          Sie Ihren Gefühlen Platz, aber halten Sie
        
        
          sie um alles in der Welt nicht fest. Atmen
        
        
          Sie einfach weiter, wissend, dass jedes
        
        
          Gefühl vergeht und wieder ein neues
        
        
          entstehen wird. Es ist wirklich irrwitzig:
        
        
          Loslassen erfordert viel mehr Kontrolle
        
        
          als Festhalten!
        
        
          Vieles spricht dafür, dass es notwen-
        
        
          dig ist, sich im Griff zu haben, wenn
        
        
          man sich als Persönlichkeit entwickeln
        
        
          möchte. Emotionales Selbstmanagement
        
        
          nennt man das. Sich im Griff zu haben
        
        
          heißt für mich, nicht im Affekt zu kom-
        
        
          munizieren und keine unverdauten Ge-
        
        
          danken von sich zu geben, sondern sich
        
        
          selbst kennenzulernen, die eigenen inne-
        
        
          ren Abgründe, aber auch die luftigen geis-
        
        
          tigen Höhen. Aus dem Erkennen resultiert
        
        
          eine Gelassenheit, die für mich die Basis
        
        
          jeglicher Persönlichkeitsentwicklung ist.
        
        
          Gelassenheit enthält auch eine gesunde
        
        
          Portion Humor und eine gefestigte Am-
        
        
          biguitätstoleranz. Und umgekehrt. Eines
        
        
          der ersten Modelle, die zur Entwicklung
        
        
          eines idealen interkulturellen Persönlich-
        
        
          keitsprofils entwickelt wurden, ist das
        
        
          Modell von David S. Hoopes, eines US-
        
        
          amerikanischen Historikers und einer der
        
        
          Pioniere der interkulturellen Kommunika-
        
        
          tion.
        
        
          Er geht davon aus, dass jeder Mensch
        
        
          in dem Glauben aufwächst, dass seine
        
        
          Kultur die beste sei. Da wir von Heimat,
        
        
          Identität, Sprache, Herkunft, Religion und
        
        
          Elternhaus primär geprägt sind, ist es
        
        
          wenig verwunderlich, dass wir uns die-
        
        
          sem Glauben schon aus Überlebensdrang
        
        
          und Zugehörigkeitsbedürfnis anschließen
        
        
          beziehungsweise unterwerfen. Je älter
        
        
          wir werden, je mehr andere Kulturen wir
        
        
          kennenlernen und je öfter wir Interkultur-
        
        
          Situationen ausgesetzt sind, desto weiter
        
        
          dringen wir in unbekannte Gefilde vor
        
        
          und lernen dazu.
        
        
          Meist relativieren wir die eigene Kultur
        
        
          ein wenig, nehmen neue Impulse aus
        
        
          anderen kulturellen Umfeldern auf oder
        
        
          passen uns sogar an. Hoopes gliedert sein
        
        
          Modell in sieben Stufen, die nicht als fest
        
        
          und klar abgeschlossen gesehen werden
        
        
          sollten. Vielmehr gehen sie ineinander
        
        
          über, verschwimmen oder überlappen
        
        
          sich. Manche Stufen können sogar über-
        
        
          sprungen werden oder weniger deutlich
        
        
          wahrgenommen werden als andere. Mit
        
        
          Bezug auf Claude-Hélène Mayer („Mori-
        
        
          Joe – auf magischen Pfaden. Eine Lek-
        
        
          türe zum interkulturellen Lernen und zur
        
        
          Persönlichkeitsentwicklung, Waxmann
        
        
          Verlag, Münster 2014) sprechen wir von
        
        
          folgenden sieben Stufen des interkulturel-
        
        
          len Lernens:
        
        
          1. Ethnozentrismus
        
        
          (ethnocentrism).
        
        
          Als Basis liegt dem Modell die Stufe des
        
        
          Ethnozentrismus zugrunde, bei der jeder
        
        
          Mensch davon ausgeht, dass bejaht wer-
        
        
          den muss, was man von Geburt an lernt.
        
        
          Es handelt sich also um die Grundstufe
        
        
          persönlichen Überlebens, die gewährleis-
        
        
          tet, dass gleichzeitig die eigene Gruppe
        
        
          geschützt ist. In dieser Phase wird die
        
        
          eigene Kultur als eine ideale Kultur an-
        
        
          gesehen.
        
        
          2. Bewusstheit
        
        
          (awareness).
        
        
          Wird die erste Entwicklungsstufe über-
        
        
          schritten, folgt die Stufe der Bewusstheit.
        
        
          Nun nimmt die Person wahr, dass es an-
        
        
          dere kulturelle Gruppen gibt, die anders
        
        
          sind und die eventuell auch als „merk-
        
        
          würdig“ empfunden werden. Man nimmt
        
        
          jedoch hier nicht bewusst die eigene Kul-
        
        
          tur wahr.
        
        
          3. Verstehen
        
        
          (understanding).
        
        
          Die nächste Stufe, die des Verstehens, tritt
        
        
          dann ein, wenn eine Person eine andere
        
        
          Kultur differenzierter wahrnimmt als
        
        
          bisher und erkennt, dass die Auseinan-