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wirtschaft + weiterbildung
04_2019
pro aufhält, beim Barcamp auch mitma-
chen darf. Mit Rücksicht auf die beson-
dere Situation einer Messe wurde jedoch
beschlossen, dass keiner der Aussteller
eine Session anbieten soll, um mögliche
Werbeaktionen von vornherein zu unter-
binden.
Die Aussteller dürfen sich aber als „nor-
male“ Teilnehmer an den angebotenen
Sessions beteiligen. Falls die Beiträge
der Aussteller in Webedurchsagen und
schlimmer noch in eine Diskriminierung
anderer Anbieter ausarten sollten, wäre
es in erster Linie die Aufgabe der rest-
lichen Session-Teilnehmer, sich das zu
verbitten. Wenn einzelne Querulanten
mit ihren Beiträgen jedoch andauernd
gegen den Geist eines Barcamps verstie-
ßen, bliebe den Mitdiskutanten nichts an-
deres übrig, als die Session zu verlassen.
Es gilt schließlich das „Gesetz der zwei
Füße“: Wer nichts lernen oder beitragen
kann oder etwas unerträglich findet, ist
aufgefordert, die Session zu verlassen.
In Internetforen mögen sich die Leute
angreifen, aber auf einem Barcamp habe
er das noch nie erlebt, betont Pape ge-
lassen. „Barcamps erschaffen aus sich
heraus eine positive Energie.“ Selbst die
Möglichkeit, dass sich Aussteller aufregen
könnten, wenn auf dem L&D-pro-Mini-
Barcamp ihre Produkte kritisiert würden,
hält er für gering. Auf einem Barcamp
sei nach seiner Erfahrung die Diskus-
sion zwischen Menschen, die etwas ab-
lehnten, und jenen, die etwas befürwor-
teten, in der Regel recht ausgeglichen.
„Es ist weitsichtig, Barcamp
und Messe zu kombinieren“
Außerdem könnten sich die Aussteller an
den Sessions als Teilnehmende beteiligen
und sachlich ihre Argumente einbringen.
Überhaupt empfiehlt Pape allen Ausstel-
lern, sich auf dem ersten Messe-Barcamp,
das jetzt in München ansteht, gründlich
umzuhören: „Nirgendwo können sie in-
tensiver Marktforschung betreiben als
bei uns. Und sie dürfen sicher sein, dass
besser informierte HRler auch schnellere
Einkaufsentscheidungen treffen.“
Dr. Thorsten Knoll, Experte für partizipa-
tive Veranstaltungsformate, begrüßt Ex-
perimente, die Barcamps mit klassischen
Events kombinieren: „Es liegt nahe, dass
Barcamps in Kombination mit deutlich
konventionelleren Veranstaltungsfor-
maten auch kreativ-innovative Impulse
auslösen.“ Indem vertraute Abläufe
durchbrochen würden, wachse die Mo-
tivation der Teilnehmer zu einer aktiven
Partizipation. Mit dem Überraschungs-
moment „Barcamp“ könnten etablierte
Messestandards überwunden werden.
In seinem Buch „Neue Konzepte für
einprägsame Events“ fordert Knoll alle
Messeveranstalter dazu auf, sich auf Bar-
camps einzulassen. Knoll: „Es zeugt von
Optimismus und Weitsicht, wenn dieser
Schritt gewagt wird.“
Martin Pichler
R
Barcamp: Partizipation statt Langeweile
Das erste Barcamp fand 2003 in San Francisco statt. „Bar“
bedeutet in der Sprache der Softwareentwickler „Leer-
stelle“ – eine Anspielung darauf, dass die Veranstalter
eines Barcamps nur einen leeren „Rahmen“ zur Verfügung
stellen und die Inhalte vollständig von den Teilnehmern
(besser: „Teilgebern“) beigesteuert werden müssen. Ein
klassisches Barcamp beginnt damit, dass sich alle (oft über
Methode.
Während auf einer Messe ein Barcamp nur in abgespeckter Form durchgeführt werden
kann, dauern „klassische“ Barcamps zwei Tage und laufen nach festen Regeln ab.
Thorsten Knoll.
„Neue
Konzepte für einprägsame
Events“ (Springer 2016)
Thorsten Knoll.
„Veran-
staltungsformate im
Vergleich“ (Springer 2018)
hundert Menschen) in einem großen Konferenzraum tref-
fen. Nach der Begrüßung und der Erläuterung der Barcamp-
Philosophie stellen sich alle mit Namen, Beruf und drei
Stichworten vor. Dieses Vorstellungsritual kann durchaus
über eine Stunde dauern. Es ist essenziell für ein Barcamp,
da nur so ein Gemeinschaftsgefühl entsteht.
Danach werden die einzelnen Sessions (Workshops)
geplant. Jeder, der eine Session durchführen will, schreibt
das Thema auf eine Session-Karte und stellt es dem ver-
sammelten Plenum vor (Session Pitch). Je nach Publikums
interesse bekommt dann die betreffende Session einen
großen oder kleinen Raum zugeordnet. Geplant wird immer
für den ganzen Tag. Alle Session-Karten werden an das
Session Board gepinnt. Wenn alle Termine (eine Session
darf maximal eine Stunde dauern) und alle Räume verge-
ben sind, entscheiden sich die Teilnehmer endgültig, wel-
che Sessions sie im Laufe des Tages besuchen. Am Ende
eines Tages gibt es eine Feedbackrunde im Plenum. Der
erste Tag klingt meist mit einer Party aus. Ein Barcamp dau-
ert in der Regel zwei Tage. Der zweite Tag startet wieder mit
der Session-Planung im Plenum.