Wirtschaft- und Weiterbildung 7-8/2018 - page 16

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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2018
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Leistung, Zufriedenheit und gegebenenfalls weitere Erfolgsin-
dikatoren an einer großen Zahl von Personen verlässlich ge-
messen werden. Das ist schwierig und reich an technischen
und menschlichen Hürden.
Wie kann sich ein Personalmanager am besten informieren?
Schuler:
Auch hier gibt es Parallelen zur Medizin. So sollte
man stets zumindest eine zweite Meinung einholen und ergän-
zend zu kommerziellen Anbietern einen neutralen Experten
befragen, wenn man selbst nicht über ausreichende Kenntnisse
verfügt.
Der Datenschutz verbietet es, rein persönliche Daten etwa zu
Religion oder zur finanziellen Situation zu erheben, sofern sie
nicht für den Job relevant sind. Doch gibt es überhaupt eine
strikt berufsbezogene Eignungsdiagnostik?
Schuler:
Je gründlicher man diagnostiziert, desto bessere Ent-
scheidungen kann man treffen und desto schwieriger wird die
Beschränkung auf den Berufsbezug. So ist etwa die psychische
Stabilität nicht nur für Polizisten, sondern auch für viele an-
dere Berufe, in denen man hohen Belastungen ausgesetzt ist,
sehr anforderungsrelevant. Wenn ich aber feststelle, dass je-
mand weniger psychisch stabil ist und vielleicht überdies nicht
allzu verträglich, dann ist es auch wahrscheinlicher, dass er
eher eine instabile Partnerschaft führt. Als Arbeitgeber geht
mich das aber nichts an. Die Abgrenzung ist also schwierig.
Wir müssen daher hier immer auf der Hut sein, weil psycho-
logische Diagnostik gewissermaßen zwangsläufig indiskret ist.
Eines der von Ihnen empfohlenen Prinzipien ist die
Multimodalität. Was steckt dahinter?
Schuler:
Es hat sich als fruchtbar erwiesen, diagnostische In-
formationen aus verschiedenen Quellen zu sammeln und zu
kombinieren. Mein Lieblingsbeispiel dazu stammt aus der As-
trophysik. Die enormen Fortschritte in den vergangenen Jahr-
zehnten sind nicht dadurch zustande gekommen, dass man
immer leistungsfähigere, optische Teleskope gebaut hat, son-
dern dass man das All auch in anderen Wellenbereichen wie
den Röntgen-, Gamma- und Radiowellen durchforstet hat. Eine
solche Vielfalt können wir in der Diagnostik erreichen, indem
wir etwa Tests, Arbeitsproben und biografische Daten kom-
binieren. Mit Tests ermitteln wir Eigenschaftsausprägungen,
mit Arbeitsproben verfügbare Fertigkeiten. Und biografische
Interviewfragen geben Aufschluss über berufsrelevante Erfah-
rungen, über das Verhalten in der Vergangenheit und die Kon-
sequenzen daraus. Damit bekommen wir eine deutlich höhere
Validität als mit einem Einzelverfahren. Ein Beispiel ist das
multimodale Interview.
Genau das ist aber auch das Argument mancher
Personalmanager, die neben einem Interview noch auf
fragwürdige Tests setzen und erklären, dass könne ja nicht
schaden und bringe noch zusätzliche Informationen.
Schuler:
Würden Sie bei einem Pilzgericht auch hochgiftige
Pilze dazufügen? Da genügt doch schon ein giftiger Pilz und
das ganze Gericht ist verdorben.
Ein Thema, mit dem Sie sich intensiv beschäftigt haben,
ist die Leistungsmotivation. Was steckt hinter Ihrem
Zwiebelmodell der Leistungsmotivation?
Schuler:
Damit habe ich versucht, über das traditionelle Modell
dieses Merkmals hinauszukommen, das sich damit begnügt
hat, Hoffnung und Furcht gegenüber Leistungssituationen zu
unterscheiden. Im Zwiebelmodell wird Leistungsmotivation
nicht als eng gefasstes eigenständiges Persönlichkeitsmerkmal
verstanden, sondern als Ausrichtung der Persönlichkeit mit
ihren verschiedenen Merkmalen auf die Leistungsthematik.
Dabei stehen Kernfacetten wie Beharrlichkeit im Zentrum und
werden von mehreren Schalen umgeben wie der Gewissen-
haftigkeit oder der Bereitschaft, Erfolge oder Misserfolge sich
selbst zuzuschreiben. Das daraus entstandene Leistungsmo-
tivationsinventar hat 17 Facetten. Ein Teil davon, wie Zielset-
zung und Leistungsstolz, sind gut trainierbar.
Ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Forschung ist die Kreativität.
Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse dazu?
Schuler:
Wir konnten feststellen, dass Kreativität nicht nur
ein wichtiger Intelligenzfaktor ist, sondern auch mit einigen
nicht kognitiven Persönlichkeitsmerkmalen verbunden ist. Be-
sonders interessant ist die für viele überraschende Beziehung
zu Unabhängigkeit und Autonomiestreben. Wir diagnostizie-
ren Kreativität zudem nicht als Gesamtwert, sondern haben
ein Prozessmodell aufgestellt, in dem wir acht Stufen krea-
tiven Handelns unterscheiden. Das reicht von der Problem­
entdeckung über die Ideenfindung und deren kritische Beurtei-
lung bis zur Implementierung eines neuen Produkts. Der Test,
den wir dazu entwickelt haben, ermöglicht es festzustellen,
welche Mitarbeiter bei welchem Schritt ihre besonderen Stär-
ken haben, um so die richtigen Teams zusammenzustellen.
Das ist auch die beste Gewähr für Arbeitszufriedenheit.
Heute will jedes Unternehmen kreative Mitarbeiter haben.
Doch die bleiben dann oft nicht lange. Was können
Unternehmen dagegen tun?
Schuler:
Leider ist der Begriff Kreativität heute vielfach zu
einer Floskel verkommen. Kreativ sein bedeutet, unabhängig
von eingefahrenen Schemata zu denken. Es bedeutet auch,
unabhängig zu handeln, und das passt eben nicht immer zu
festgefahrenen Abläufen und Erwartungen. Wer Kreativität for-
dert, muss auch Freiräume gewähren und gewisse Besonder-
heiten tolerieren.
Schon heute gibt es zahlreiche Anbieter, die behaupten, mit-
hilfe künstlicher Intelligenz und geheimer Algorithmen die
Persönlichkeit eines Menschen berechnen zu können. Werden
Diagnostiker überflüssig, weil Maschinen künftig besser sind?
Schuler:
Derzeit gibt es überall Listen von Berufen, in denen
Menschen künftig von Maschinen ersetzt werden. Psychologen
landen regelmäßig am Ende dieser Listen, müssen also auf
absehbare Zeit nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten. Für die
reinen Diagnostiker unter den Psychologen – wie auch unter
den Medizinern – sieht es dagegen düster aus. Große Daten-
mengen und gute Programme vorausgesetzt, werden algorith-
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