Wirtschaft- und Weiterbildung 7-8/2018 - page 15

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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2018
verdienen und Zuwendung erwarten. Auswahlgespräche sind
persönliche Begegnungen, die Vertrauen schaffen und beiden
Seiten ein Gefühl dafür vermitteln, ob man zusammenpasst.
Viele Unternehmen setzen auf Persönlichkeitstests. Welche
Rolle sollte die Persönlichkeit bei der Personalauswahl
spielen?
Schuler:
Gute, das heißt wissenschaftlich fundierte Persönlich-
keitstests können dazu beitragen, den passenden Beruf oder
die passenden Mitarbeiter auszuwählen. Auch hier muss man
Personen mit den spezifischen Berufsanforderungen verglei-
chen. Für Polizisten ist etwa ein höheres Maß an psychischer
Stabilität erforderlich als für Steuerbeamte. Altenpfleger sollten
über ein ausgeprägtes Interesse an Menschen verfügen, Gärt-
ner brauchen das wiederum nicht. Zudem ist aber zu beach-
ten, dass Persönlichkeitstests keine hohe prognostische Validi-
tät haben, also keine hohe Treffsicherheit bei der Vorhersage.
Sie sollten daher nicht als einziges Auswahlverfahren einge-
setzt werden. Persönlichkeitstests sind zudem verfälschbar.
Das führt dazu, dass im Einzelfall derjenige vorgezogen wird,
der frecher lügt.
Auf dem Markt der Persönlichkeits- und Eignungstests über-
wiegen noch immer fragwürdige oder sogar unseriöse Ver-
fahren. Selbst so abstruse Methoden wie die Physiognomik,
bei der die Eignung einer Person anhand ihrer Nasenform
bestimmt wird, erfreuen sich noch immer großer Beliebtheit.
Warum halten sich fragwürdige Verfahren so hartnäckig?
Schuler:
Weshalb glauben die Menschen seit Jahrtausenden an
die Astrologie und geben Milliarden Euro für homöopathische
Mittel aus? Die Welt war für den Menschen schon immer zu
komplex, was aller Art von Glauben und Aberglauben Tür und
Tor öffnet. Gute Verkäufer erreichen in vielen Fällen mehr als
gute Validierungsdaten. Nicht die wissenschaftlichen Belege
sind ausschlaggebend, sondern das geschickte Marketing. Dia­
gnostische oder pseudodiagnostische Verfahren, die es ver-
stehen, die Intuition der Kunden anzusprechen, die vertraut
wirken und die Komplexität drastisch reduzieren, werden wir
nicht aus der Welt schaffen können, zumal ihnen auch Place-
boeffekte und Selbsttäuschungen in die Hände spielen. Ob-
wohl für prognostische Prozesse und Verfahren mittlerweile
die DIN 33430 für die Anforderungen an berufsbezogene Eig-
nungsdiagnostik vorliegt, ist der Wildwuchs immer noch groß.
Warum ist es für Anbieter wissenschaftlich seriöser Tests so
schwer, sich gegen die Scharlatane durchzusetzen?
Schuler:
Ein Grund ist die große Ungeschicklichkeit von Psy-
chologen, die Funktionsweise und Bedeutung der Eignungs-
diagnostik zu erläutern. Ein anderer ist die Schwierigkeit der
Effektmessung. Um in einer prognostischen Studie die Qualität
von Auswahlverfahren zu ermitteln, müssen nach einem an-
gemessenen Zeitraum (das heißt mehr als zwei Jahren) die
R
Tipp.
Anfang 2018 erschien die 2. Auflage
des theoretisch wie praktisch herausra-
genden Schuler-Buchs „Das Einstellungs­
interview“ (370 Seiten, 39,95 Euro).
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