Wirtschaft- und Weiterbildung 7-8/2018 - page 12

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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2018
Josef W. Seifert
Imponiergehabe wohin man schaut: Das Streben
nach Überlegenheit ist allgegenwärtig. Abraham
Maslow hat etwas vergessen: das Bedürfnis „Ich-
lass-die-anderen-alt-aussehen“. Dieses Bestreben
hat nach oben keine Grenze. Je weiter die anderen
zurückbleiben, desto besser, je größer der Abstand,
desto überlegener fühlt sich der, der „oben“ ist.
Es stellt sich die Frage, wozu das gut sein soll:
Wieso eigentlich geben wir uns so viel Mühe, andere
zu beeindrucken? Wieso wollen wir „mehr wert
sein“? Woher kommt das? Eine (individualpsycho-
logische) Erklärung: Der Mensch kommt als völlig
schutzloses, auf Überleben programmiertes Wesen
auf die Welt. Er braucht von Anfang an Nahrung
und Pflege, Wärme und Zuwendung. Er braucht „die
anderen“. Im Laufe des Heranwachsens erlebt der
kleine Mensch, dass diese anderen, in der Regel die
Eltern, ganz im Gegensatz zu ihm selbst, scheinbar
„alles können“, „alles wissen“ und „alles dürfen“.
Er erlebt sich selbst zwangsläufig als klein und
abhängig, weniger potent und weniger wert. Dieses
Erleben des eigenen Unvermögens, der eigenen
„Minderwertigkeit“ und der Abhängigkeit vom Wohl-
wollen der andern gräbt sich so tief in sein Gedächt-
nis und in seine Seele ein, dass es nie mehr völlig
verblassen wird. Je nach persönlicher Situation und
individueller Verarbeitung bleibt ein mehr oder weni-
ger tiefes unbewusstes Minderwertigkeitsgefühl,
eine Angst, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen
zu werden.
Paradoxerweise entsteht durch unsere Bemü-
hungen, uns interessant zu machen, ein emotio-
naler Abstand zu den anderen, die sich kleinge-
macht fühlen und versuchen nachzuziehen. Wir
erreichen Distanz, Neid und Missgunst und den
ständigen Wettbewerb der Eitelkeiten. Das ist im
Unternehmen, im Team, nicht anders als im privaten
Leben. Wenn die Teamkultur so ist, dass es wichtig
zu sein scheint, in welcher Hinsicht auch immer bes-
ser dazustehen als die Kollegen, dann frisst das die
Energie für Kreativität und Unterstützung, hemmt
die Performance des gesamten Teams.
Die Angst, nicht zu genügen, ist uns mit auf den
Lebensweg gegeben und sie wird benutzt, auch in
Unternehmen und Teams. Nur wer glaubt, durch das
Schüren von Konkurrenz Spitzenleistung zu erzeu-
gen, der befindet sich auf dem sprichwörtlichen
Holzweg. Das Gegenteil ist der Fall: Mikropolitik,
Abwertungen und Konflikte sind die Folge. Füh-
rungspersonen frage ich: „Stell Dir vor, jeder würde
mit jedem zu jeder Zeit kompromisslos konstruktiv
umgehen.“ Was wäre die Folge? Meine These ist,
dass das Streben nach Überlegenheit dahinschmel-
zen würde wie Eis in der Sonne. Die Energie, die
jetzt vom Wettbewerb verschlungen wird wie die
Lichtstrahlen von einem schwarzen Loch, würde
sich darauf konzentrieren, worauf es
ankommt: auf die Bewältigung der gestell-
ten Aufgabe.
Weiterbildung ist der Schlüssel: Wenn es
uns gelänge, Führungskräften das Wissen
um diese „Mechanik“ zu vermitteln und
Ihnen konkrete Werkzeuge an die Hand zu geben,
im eigenen Team eine Kultur der Augenhöhe zu rea-
lisieren, würden „Wertschätzungsinseln“ entstehen,
die ihre Wirkung über das eigene Team hinaus ent-
falten würden. Die Wege sind bekannt. Führungs-
training, Coaching, moderierte Teamworkshops, um
nur einige zu nennen, können die Sprossen auf der
Leiter zu einer angstfreien Teamkultur des Wohlwol-
lens sein, in der das Streben nach Überlegenheit
nicht die Regel ist, sondern ein Regelverstoß.
Gastkommentar
Lasst „Wertschätzungs-
inseln“ entstehen
Foto: Moderatio
Josef W. Seifert gründete im Jahr 1987 das Institut „Moderatio“ im bayerischen Pörnbach, das sich auf die Vermittlung der Moderationsmethode im Businesskon-
text spezialisierte. Seifert wurde bekannt für sein Prozessmodell des „Moderationszyklus“.
Wir sollten Teams Werkzeuge an die
Hand geben, damit sie untereinander
auf Augenhöhe agieren können.
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