wirtschaft und weiterbildung 9/2017 - page 55

Mit „vernünftig“ umgesetzten Digitalisie-
rungsmaßnahmen lässt sich ein enormer
inhaltlicher und didaktischer Mehrwert
erwirtschaften.
• Lernen besteht nicht nur darin, sich Vi-
deos anzuschauen.
Videos können Freiräume schaffen, aber
nicht die Lehre revolutionieren. Lehre ist
weit mehr als ein Buch, als ein Video,
als ein Professor, als eine Vorlesung oder
eine Übung. Videos sind so wenig Lehre,
wie es Texte in Büchern sind. Die Digi-
talisierungsbemühungen vieler Akteure
erschöpfen sich oft in der Erstellung von
Lehrvideos verbunden mit der Hoffnung,
dass auf diese Weise eine neue Lernkultur
entstehen kann. Dies – so eine Kernthese
von Handke – funktioniert so einfach
nicht.
• Die Didaktik muss die Technologie vor-
antreiben und nicht umgekehrt.
Neue technologische Entwicklungen
stehen zurzeit im Zentrum jeder Moder-
nisierung. Die Didaktik hechelt ziellos
hinterher. Dabei sollten doch neue didak-
tische Szenarien und Lehrmethoden im
Vordergrund jeder Lehre stehen. Neue
Technologien werden benötigt und müs-
sen funktionieren, aber sie sollten nicht
dominieren. Diese Thesen bilden die
Ausgangslage dafür, wie die Vermittlung
von Lernstoff in der Zukunft aussehen
könnte: Sie erfolgt natürlich überwiegend
online und wird zusätzlich von attrakti-
ven Lehr- und Lernprozessen begleitet.
Wie das Ganze konkret im Bereich der
Hochschule aussehen könnte, hat Handke
in seinem „Handbuch Hochschullehre
Digital: Leitfaden für eine moderne und
mediengerechte Lehre“ im Jahr 2015 aus-
formuliert.
Darin fordert er: „Entwickelt eine neue
Wertschätzung für die Lehre!“ Mit dem
derzeitigen Missverhältnis zwischen
Forschung und Lehre werde die Digitali-
sierung der Lehre nicht gelingen. Außer-
dem empfiehlt der Marburger Professor:
„Verteilt die Lasten auf viele Schultern!“
Digitalisierung gebe es nicht zum Nullta-
rif, ganz im Gegenteil: Für die Erstellung
eines einzelnen Online-Kurses entstün-
den Kosten im sechsstelligen Eurobe-
reich. Versuche man zu sparen, seien die
Erfolge so dürftig wie die vieler Massive
Open Online Courses. Mit hochschulüber-
greifenden digitalen Materialpools könne
der Kostendruck erheblich gelindert wer-
den.
Schließlich legt der Marburger Professor
den Finger noch in eine andere Wunde:
Wenn die Lernmaterialien erst einmal di-
gitalisiert und von entsprechender Quali-
tät seien, mache es wenig Sinn, die Prä-
senzlehre so durchzuführen wie bisher.
Präsenz bedeute in Zukunft, dass es im
Seminarraum eine permanente Dozent-
Student-Interaktion gebe, bei der es um
individuelle Hilfestellungen gehe. Außer-
dem müsse die gemeinsame Zeit genutzt
werden, Forschungsfragen zu diskutieren
und die Inhalte auf neue Art zu vertiefen.
Martin Pichler
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