wirtschaft und weiterbildung 9/2017 - page 27

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wirtschaft + weiterbildung
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ger Zeit merken sie: „Unter den neuen
Rahmenbedingungen möchte oder kann
ich nicht arbeiten.“ Also ergreifen sie die
Flucht.
Letzteres passiert oft. Denn bei den meis-
ten Übernahmen ändern sich die Rah-
menbedingungen des Handelns für das
Management stark: Mit ihnen sind in der
Regel neue strategische Zielsetzungen
verbunden und das „Operative Model“,
sprich die Art und Weise, wie die neue
Gesellschaft operiert, ändert sich, und
hieraus resultieren neue Prozesse und
Anforderungen an das Management.
Ein Beispiel:
Angenommen, ein Unterneh-
men erwirbt einen Mitbewerber mit lan-
ger Firmentradition – primär, weil es sich
hiervon den Zugang zu neuen Märkten
verspricht. Dann ändert sich die Arbeits-
situation des Topmanagements radikal:
Plötzlich ist das ehemals stolze eigen-
ständige Unternehmen nur noch eine Art
Vertriebsorganisation, die ihr Handeln an
den Zielvorgaben der neuen Eigner orien-
tieren muss.
Das ist eine Situation, die von den Top-
Executives des akquirierten Unterneh-
mens ein neues Selbstverständnis und
verändertes Managementhandeln erfor-
dert. Deshalb sind bei solchen Übernah-
men personelle Veränderungen meist un-
umgänglich.
Ein Ausbluten der Organisation
verhindern
Bei Firmenübernahmen machen sich
die neuen Eigner im Vorfeld oft wenig
Gedanken darüber, was daraus für das
Management des akquirierten Unter-
nehmens folgt. Anders ist dies bei des-
sen Top-Executives: Bei ihnen beginnt,
sobald die mögliche Übernahme publik
wird, das Gedankenkarussell zu kreisen.
Sie fragen sich: „Was bedeutet die mögli-
che Übernahme für mein Unternehmen?“
Und damit ist unlösbar die Frage verbun-
den: „Was heißt dies für meine berufliche
Zukunft?“ Entsprechend schnell sind die
Topmanager im akquirierten Unterneh-
men in solchen Phasen der Ungewissheit
zu einem Arbeitgeberwechsel bereit. Das
wissen auch die Mitbewerber. Also buh-
len sie verstärkt um die Personen, die
beim Übernahmekandidaten Schlüssel-
positionen innehaben.
Auch deshalb sollten Organisationen,
die ein anderes Unternehmen erwerben
möchten, im Rahmen der Due-Diligence-
Prüfung analysieren: Welche Fähigkeiten
brauchen wir zum Erreichen der Ziele des
Invests? Denn nur dann können sie rasch
die für den Erfolg der Übernahme wichti-
gen Führungskräfte, aber auch Spezialis-
ten identifizieren und an diese das Signal
senden: „Wir brauchen euch.“
Kernfrage: Welchem Ziel
dient die Akquisition?
Doch wie sollte ein Unternehmen bei
einer Leadership-Due-Diligence-Prüfung
vorgehen? Zunächst müssen die Verant-
wortlichen klar definieren: „Was wollen
wir mit der Übernahme erreichen? Mögli-
che Antworten sind:
• Wir wollen uns Zugang zu Know-how
verschaffen, das unserer Organisation
fehlt.
• Wir wollen uns neue Kundengruppen
erschließen.
• Wir wollen unsere Stückkosten senken.
Das Akquiseziel exakt zu definieren, ist
wichtig, denn hieraus ergeben sich zum
Teil die Antworten auf folgende Fragen:
• Welche Bereiche im Unternehmen und
welche der dort vorhandenen Kompe-
tenzen sind für den Erfolg der Akquisi-
tion unabdingbar?
• Welche Struktur und Kultur muss die
akquirierte Organisation künftig haben,
damit wir unsere Ziele erreichen?
Die Antworten auf diese Fragen wirken
sich wiederum auf die Personalentschei-
dungen aus. Erneut ein Beispiel: Ange-
nommen, ein Unternehmen erwirbt ein
anderes vor allem, weil dieses in der Pro-
duktentwicklung innovativer ist. Dann
stellt häufig dessen Forschungs- und
Entwicklungsbereich das Filetstück dar,
das bei der Übernahme auf keinen Fall
zu Schaden kommen darf. Also sollte bei
der Übernahme in diesem Bereich weit-
gehend die Kontinuität gewahrt bleiben
– personell, strukturell und kulturell.
Sonst ist die Gefahr groß, genau das zu
zerstören, was das Unternehmen attraktiv
macht.
Anders ist die Situation, wenn ein Un-
ternehmen einen Mitbewerber primär
erwirbt, um seinen Marktanteil auszu-
bauen. Dann ist es vor allem an dessen
Kunden und Absatzwegen interessiert.
Bei solchen Deals ist es meist sinnvoll,
das gekaufte Unternehmen strukturell
und kulturell soweit möglich in die ei-
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