wirtschaft und weiterbildung 9/2017 - page 34

training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
09_2017
Wie bilden wir uns denn diesen
berühmten „ersten Eindruck“?
Todorov:
Unser erster Eindruck basiert vor
allem auf unserer Wahrnehmung. Wir
formen ihn automatisch, ohne darüber
nachzudenken. Je nach Situation haben
wir dann zum Beispiel einen Eindruck
von Vertrauenswürdigkeit, Kompetenz
oder Dominanz. In Situationen, in denen
die Vertrauenswürdigkeit von anderen
wichtig ist, etwa wenn wir eine Invest-
ment-Entscheidung treffen müssen, bil-
den wir unseren Eindruck nach dem Aus-
sehen. Dabei scheint der Eindruck, den
bestimmte Gesichtsausdrücke bewirken,
auf verschiedenen Konfigurationen von
Gesichtszügen zu basieren. So sind zum
Beispiel Eindrücke von Vertrauenswür-
digkeit stark mit emotionalen Ausdrücken
verbunden, selbst wenn diese sehr subtil
und kaum wahrnehmbar sind. Gesichter,
die glücklich wirken, werden als vertrau-
enswürdig wahrgenommen.
Ärgerliche Gesichter dagegen als wenig
vertrauenswürdig. Und männliche Ge-
sichter werden als dominanter wahr-
genommen. Der erste Eindruck kann
vielleicht im Moment der Interaktion
richtig sein, weil emotionale Ausdrücke
oft unsere Intentionen und unseren psy-
chischen Zustand zeigen. Aber sie sind
oft falsch, wenn es darum geht, den Cha-
rakter des anderen zu deuten, also etwas,
das über die Zeit und verschiedene Situa-
tionen hinweg stabil ist.
Also können wir nicht vom Gesicht auf
die Persönlichkeit schließen, wie es die
Physiognomik behauptet?
Todorov:
Nein. Bis zu einem gewissen
Ausmaß können Gesichter einen emoti-
onalen und kognitiven Zustand zeigen
– zum Beispiel, wenn jemand übernäch-
tig ist – oder unser Alter, Geschlecht und
unsere ethnische Zugehörigkeit. Aber all
die Signale sind nie eindeutig. In meinem
Buch zeige ich einige Trugbilder, wo das-
selbe Gesicht als Mann oder Frau wahr-
genommen werden kann, nur wenn man
den Kontrast verändert.
Der erste Eindruck entsteht innerhalb
von 30 bis 40 Millisekunden. Was
passiert, wenn wir mehr Zeit haben oder
mehr Informationen über die Person
bekommen? Korrigieren wir dann
unseren ersten Eindruck?
Todorov:
Wir haben viele Experimente ge-
macht, die zeigen, dass 30 bis 40 Millise-
kunden genügen, um ausreichend Infor-
mationen zu bekommen und sich anhand
des Gesichtsausdrucks einen Eindruck zu
verschaffen. Wenn wir einen Ausdruck
länger sehen, verändert das nur unser
Selbstvertrauen und wir werden uns
unseres Eindrucks noch sicherer. Aber
wenn wir Informationen über die Person
bekommen, die im Widerspruch zu unse-
rem ersten Eindruck stehen, können wir
unsere Meinung auch schnell wieder än-
dern – vorausgesetzt, wir glauben dieser
Information.
Warum achten wir so sehr auf das
Gesicht, wenn wir einen Menschen
beurteilen?
Alexander Todorov:
Gesichter ziehen un-
sere Aufmerksamkeit automatisch an und
das beginnt bereits sehr früh im Leben.
Schon Neugeborene schauen lieber auf
gesichtsähnliche Dinge als auf andere
Objekte. In Kombination mit unserer in-
tensiven Erfahrung mit Gesichtern in un-
seren ersten Lebensjahren führt dies zur
Entstehung eines komplexen Netzwerks
in unserem Gehirn zur Verarbeitung von
Gesichtern. Kurz gesagt: Gesichter spie-
len eine ganz besondere Rolle in unserem
mentalen Leben. Wir können Gesichter
anderer erkennen, ihren emotionalen Zu-
stand erfassen und mit ihnen kommuni-
zieren.
Der Untertitel Ihres Buchs „Face Value“
(Princeton University Press, 2017) lautet
„Der unwiderstehliche Einfluss des
ersten Eindrucks“. Warum ist dieser erste
Eindruck so wichtig für uns?
Todorov:
Er ist deshalb wichtig, weil wir
uns stets sofort einen Eindruck machen
und danach handeln. Das hat allerdings
oft ganz fatale Folgen, weil dieser Ein-
druck eben kein verlässlicher Hinweis auf
den Charakter des Menschen ist, der uns
gegenübersteht.
„Der erste Eindruck wird durch
Vorurteile verfälscht“
PHYSIOGNOMIK II.
Gibt es einen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass man den
Charakter einer Person anhand des Gesichts erkennen kann? Alexander Todorov,
Psychologieprofessor an der renommierten Princeton-Universität in den USA, verneint
diese Frage. Beim ersten Eindruck achten wir vor allem auf das Gesicht. Doch die Deutung
von Gesichtsausdrücken basiert oft nur auf Stereotypen und Vorurteilen.
„Wenn Computer am Gesicht erkennen sollen, ob
jemand ein Terrorist ist, dann führt der Einsatz
solcher Technologien nur zu mehr unfairer
Diskriminierung.“
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