wirtschaft und weiterbildung 9/2017 - page 35

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wirtschaft + weiterbildung
09_2017
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Alexander Todorov.
Er ist Professor für Psychologie an der Princeton University
in New Jersey und gilt als einer der renommiertesten Forscher zum Thema
„Gesichterwahrnehmung“.
In Ihrem Buch beschreiben Sie Experi-
mente, bei denen den Versuchspersonen
neutrale Gesichter gezeigt wurden und
sie diese einem Arzt, einem Verbrecher
oder einem Ingenieur zuordnen sollten.
Dabei gab es große Übereinstimmun-
gen. Wie lässt sich das erklären? Gibt
es eine genetische Komponente bei der
Gesichtserkennung?
Todorov:
Es gibt tatsächlich Forschung
zum genetischen Anteil bei der Gesichts-
erkennung. Aber das hat damit nichts zu
tun. Hier geht es um soziale Stereotype.
Berufe sind verbunden mit bestimmten
Stereotypen und wir projizieren diese Ste-
reotype auf Gesichtsmerkmale.
Ihre Forschung zeigt, dass bereits kleine
Variationen im Gesichtsausdruck unse-
ren Eindruck komplett verändern können
und ein Gesicht dann mehr oder weniger
vertrauensvoll oder introvertierter bezie-
hungsweise extrovertierter wahrgenom-
men wird. Wie funktioniert das?
Todorov:
Wir machen aus zu wenig Infor-
mationen zu viel, wenn wir unseren Ein-
druck bilden. Dabei spielen emotionale
Ausdrücke eine wichtige Rolle. Wenn Sie
lächeln, glauben die Menschen, dass Sie
extrovertiert sind und vertrauensvoller.
Wenn Sie übermüdet sind, denken die
Leute, Sie sind weniger intelligent.
Warum tappen wir bei der Gesichts-
erkennung immer wieder in Fallen, wenn
diese für uns doch so wichtig ist?
Todorov:
Die Gesichtserkennung ist sehr
wichtig, um andere zu erkennen. Und
wenn wir jemanden als Person kennen,
sind wir auch phänomenal gut darin.
Wir können bekannte Gesichter aus
einer großen Entfernung oder sogar an-
hand von verzerrten Bildern erkennen.
Das Problem ist, dass wir glauben, wir
könnten das genauso gut bei unbekann-
ten Gesichtern. Aber das stimmt nicht.
Wenn wir einen Menschen nicht kennen,
wissen wir oft nicht einmal, ob verschie-
dene Fotos von ihm auch immer dieselbe
Person zeigen. Im Fall von bekannten
Personen aktivieren Fotos unser Wissen
und unsere Gefühle gegenüber dieser Per-
son. Im Fall von Fremden aktivieren sie
nur unsere Vorurteile. Eine Konsequenz
davon sind falsche Berichte von Augen-
zeugen. Tatsächlich sind ihre ungenauen
Aussagen der Hauptgrund für falsche Ver-
urteilungen.
Sie behaupten, dass unser Eindruck auf
Stereotypen und Vorurteilen basiert. Wie
kann man das erklären?
Todorov:
Wir neigen dazu, eine ärgerlich
schauende Person als schlechte Person
zu beurteilen. Aber sie kann eben nur är-
gerlich sein, weil sie gerade einen Streit
mit ihrem Partner hatte. Wir neigen dazu,
Gesichtern zu vertrauen, die uns vertraut
sind. Daher vertrauen wir Gesichtern
unserer eigenen Ethnie natürlich mehr.
Dasselbe gilt für Gesichter, die denen von
guten Freunden ähneln.
Sie haben bei Ihren Forschungen heraus-
gefunden, dass der erste Eindruck sogar
den Ausgang von politischen Wahlen
voraussagen kann. Wie funktioniert das?
Und welche Politiker haben bessere
Chancen?
Todorov:
Politiker, die kompetenter wir-
ken, werden eher gewählt. Diesen Effekt
haben zahlreiche Studien in einem Dut-
zend verschiedener Länder gezeigt. Ge-
nerell werden Wähler mit einem hohen
Politikwissen nicht vom Aussehen beein-
flusst. Aber Wähler, die so gut wie nichts
wissen, verlassen sich auf das Aussehen,
wenn sie ihre Wahlentscheidung treffen.
Und diese Wähler können eine Wahl ent-
scheiden. Je nach politischer Gesinnung
werden dabei unterschiedliche Stereotype
bevorzugt: Konservative favorisieren eher
dominante und männliche Gesichter,
Linke eher weniger dominante und weib-
liche Gesichter.
Und wie sieht ein kompetentes Gesicht
aus? Und was können Politiker tun, um
besser anzukommen?
Todorov:
Es ist immer schwierig, verbal
zu beschreiben, was zu den Stereotypen
bestimmter Eindrücke führt. Deshalb
haben wir mathematische Modelle entwi-
ckelt, um diese Eindrücke zu visualisie-
Foto: Princeton University
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