wirtschaft und weiterbildung 9/2017 - page 36

training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
09_2017
ren. In meinem Buch werden diese Ste-
reotype ausführlich illustriert. Politiker
können besonders schmeichelhafte Bilder
nutzen, was sie auch bereits tun.
Und was ist mit Donald Trump? Sieht er
etwa kompetent aus?
Todorov:
Der erste Eindruck einer Person
entsteht, wenn wir nichts über sie wis-
sen. Wenn Wissen, das mit ideologischen
Präferenzen verbunden ist, dazukommt,
handeln Menschen immer entsprechend
ihrer ideologischen Präferenzen. In un-
seren Studien haben wir stets bekannte
Politiker ausgeschlossen und nur die Ein-
drücke von Politikern berücksichtigt, die
den Versuchspersonen unbekannt waren.
Wenn unser erster Eindruck oft durch
Stereotype und Vorurteile geprägt ist,
was können wir dagegen tun?
Todorov:
Man sollte stets auch Informatio-
nen über das bisherige Verhalten berück-
sichtigen. Bei der Einstellung von Mitar-
beitern wären das die Leistungsfähigkeit
im letzten Job, die Referenzen oder an-
dere Informationen. All das ist informati-
ver als jeder erste Eindruck.
Ihr Buch beginnt mit einem ausführli-
chen Kapitel über Physiognomik. Gibt es
irgendeinen wissenschaftlichen Beleg
dafür, dass man den Charakter einer
Person anhand des Gesichts erkennen
kann?
Todorov:
Nein. In meinem Buch geht es in
vier Kapiteln genau darum, dass es keine
Belege gibt.
In Deutschland gibt es zahlreiche
Headhunter, Berater und sogar erfahrene
Personalmanager, die auf die Physiogno-
mik setzen, etwa im Recruiting. Warum
ist die Pseudolehre noch immer so
attraktiv?
Todorov:
Weil der erste Eindruck so unwi-
derstehlich ist, erscheint er uns glaubwür-
dig. Aber wir überprüfen nie ernsthaft, ob
er wahr ist oder nicht.
Sie haben vor Kurzem ein Forschungs-
paper „Physiognomik in neuen Kleidern“
veröffentlicht, in dem Sie beschreiben,
dass Physiognomie auch in moderner
Software versteckt ist. Können Sie
erklären, wie das geht?
Todorov:
Nur weil man beim maschinel-
len Lernen einen Algorithmus nutzt, um
eine Vorhersage zu machen, heißt das
noch lange nicht, dass man eine vorur-
teilsfreie Vorhersage bekommt. In einen
Algorithmus fließen viele Annahmen ein
und die Vorhersage hängt auch davon ab,
welche Worte und Bilder ich in den Al-
gorithmus einspeise. Wenn man darüber
nicht sorgfältig nachdenkt, können diese
Dinge verzerrte Vorhersagen generieren,
die unfaire Ergebnisse bestätigen. In den
USA lag zum Beispiel die „vorhersagende
Polizeiarbeit“ im Trend, bei der eine Soft-
ware vorhersagt, wo die Polizei stärker
präsent sein sollte. Das war typischer-
weise eher in den ärmeren, afrikanisch-
amerikanisch geprägten Vierteln der Fall.
Aber wenn man mehr Polizei dort hin-
schickt, kann das natürlich auch zu mehr
Verhaftungen führen – was wiederum
den Teufelskreis von Stereotypen und
Diskriminierung verstärkt.
In dem Paper beschreiben Sie auch eine
Studie von den beiden Forschern Xiaolin
Wu und Xi Zhang von der renommierten
Shanghai Jiao Tong University. In dieser
Studie wird behauptet, dass sich durch
maschinelles Lernen allein anhand des
Führerschein-Fotos einer Person mit
einer Genauigkeit von fast 90 Prozent
erkennen lässt, ob die Person ein
verurteilter Krimineller ist. Was ist falsch
an der Studie?
Todorov:
In der Studie stimmt vieles
nicht. Die Algorithmen des maschinellen
Lernens sind extrem machtvoll, aber wir
haben oft keine Ahnung, was die Com-
puter wirklich anhand der vorgelegten
Bilder lernen. In dieser Studie nutzten
die Autoren nur sechs Fotos. Drei zeig-
ten nicht-verurteilte Personen, drei verur-
teilte Personen. Alle Personen, die nicht
verurteilt waren, tragen Anzüge. Bei den
Verurteilten trägt keiner einen Anzug.
Dieses triviale Merkmal wird sofort vom
Algorithmus gelernt, weil er einfach nach
irgendwelchen Merkmalen sucht, die
die beiden Bilderreihen unterscheiden.
Zudem gibt es klare Unterschiede bei den
Gesichtsausdrücken der Verurteilten und
der Nicht-Verurteilten. Der Algorithmus
kann also völlig falsche Korrelationen
zwischen den Verurteilten beziehungs-
weise Nicht-Verurteilten und den Unter-
schieden auf ihren Fotos lernen.
Ein anderes Beispiel ist das israelische
Start-up Faception, das behauptet, allein
anhand des Gesichts mit 80-prozentiger
Genauigkeit zu erkennen, ob jemand ein
Terrorist ist. Auf Anfrage schickte mir
der CEO sogar Forschungsartikel von
Ihnen als Beleg für die wissenschaftliche
Fundierung seiner Versprechen. Ist das
eine neue Form der Täuschung, Physio­
gnomik zu nutzen und das gleichzeitig zu
bestreiten?
Todorov:
Absolut. Ich war wirklich ge-
schockt, dass sie meine Forschung als
Grundlage für ihr Unternehmen nutzen.
Meine Forschung zeigt, dass wir gemein-
same Stereotype über das Aussehen
haben und nicht, dass diese Stereotype
auch stimmen. Faception ist das perfekte
Beispiel für die neuen Kleider der Physio­
gnomik. Die Physiognomik mit moderner
Technologie zu verbinden, ist für mich
eine Horrorvorstellung. Das führt nur zu
mehr unfairer Diskriminierung.
Interview: Bärbel Schwertfeger
R
„Wenn Sie lächeln, glauben die Menschen, dass Sie
extrovertiert sind. Wenn Sie mal übermüdet sind,
denken die Leute gleich, Sie seien weniger
intelligent.“
Alexander Todorov.
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Irresistible Influence of First Impressions“,
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