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wirtschaft + weiterbildung
03_2017
der Woche Calls machen. Dann bin ich
zum Beispiel nur am Donnerstag verfüg-
bar und die Kunden setzen alle ihre Ter-
mine für diesen Tag. Da mache ich dann
gleich sechs Calls, so fließbandmäßig.
Man kommt dabei in einen Flow, weil
man nur diese eine Aufgabe macht. Das
nenne ich „Badge Working“.
Und wie sprecht Ihr Euch untereinander
ab, wenn Ihr aus der Ferne zusammen-
arbeitet?
Dittrich:
Das läuft über Tools wie zum
Beispiel „Slack“. Das ist wie so eine Art
Gruppenchat. Den nutzt zurzeit jeder im
Silicon Valley. Es gibt verschiedene Chat-
rooms für Gruppen, aber ich kann auch
jeden persönlich ansprechen. Wenn man
Slack richtig gut nutzt, kann man so eine
Art Community aufbauen. Man kann
über Slack auch mit Kunden chatten. Au-
ßerdem lässt sich Slack super synchroni-
sieren mit allen möglichen anderen Pro-
dukten wie Google Calendar oder Trello,
ein Taskmanagingtool.
Wie sieht das mit dem Chatten aus,
wenn Deine Mitarbeiter oder Kunden in
anderen Zeitzonen sind?
Dittrich:
Zeitzonen sind schon so ein
Ding. Ich arbeite meistens aus Mexiko,
Kolumbien oder Peru. Da habe ich immer
etwa drei Stunden Unterschied zu San
Francisco. Hier in Marokko habe ich acht
Stunden Zeitverschiebung zu meinen
Kunden. Morgen bin ich in Berlin, dann
sind es neun. Viele von unseren Freelan-
cern sitzen entweder in Rumänien oder
Kanada. Das ist natürlich manchmal eine
Herausforderung, aber das funktioniert
total gut. Wir hatten noch nie Probleme
mit einem Kunden, der sich beschwert
hat, dass wir nur zu bestimmten Zeiten
zur Verfügung stehen. Die Dinge, die wir
machen, sind gar nicht so zeitkritisch. Da
gibt es einen Job, der muss innerhalb der
nächsten zwei, drei Wochen erledigt sein.
Es macht nichts, wenn man mal nicht di-
rekt antwortet.
Hast Du Dich mal mit dem deutschen
Arbeitszeitgesetz beschäftigt? Da geht
es um so etwas wie eine Regelarbeits-
zeit von acht Stunden, um Ruhepausen
oder eine Ruhezeit von elf Stunden nach
einem Arbeitstag?
Dittrich:
Nein, habe ich nicht. Aber klar,
wenn ich jemand bin, der Arbeit als
ein „Muss“ ansieht und arbeiten ganz
schrecklich findet, dann ist es natürlich
gut, dass es gewisse gesetzliche Regulie-
rungen gibt, um nicht völlig ausgenutzt
zu werden. Wenn man am Fließband
steht, dann sollte man sicher Pausen ein-
halten. Aber wenn ich gerade einen Tag
habe, an dem ich mich total motiviert
fühle, kann ich auch 18 Stunden arbeiten
und es macht mir unglaublich Spaß. Des-
wegen werde ich nicht krank. Angst vor
zu viel Stress habe ich auch nicht.
Kennst Du Deine Mitarbeiter persönlich
und wie wichtig findest Du persönliche
Treffen?
Dittrich:
Von den Freelancern kenne ich
nur einen persönlich. Aber mein heutiger
Geschäftspartner Dominic und ich haben
in Südamerika acht Monate in einem
Sechs-Quadratmeter-Land-Rover geschla-
fen. Das ist interessant fürs Teambuilding.
Mit Dominic merke ich aber schon, dass
es auch Nachteile hat, wenn wir nur im
Chat kommunizieren. Wenn etwas nicht
rund läuft, dann kann beim anderen
schnell eine Bemerkung in den falschen
Hals geraten, weil man nicht sieht, wie
der andere guckt, sich bewegt oder was er
für einen Tonfall annimmt. Deswegen ist
es wichtig, sich persönlich zu treffen, vor
allem am Anfang einer Zusammenarbeit.
Firmen organisieren oft zweimal im Jahr
eine Zusammenkunft für die Mitarbeiter.
Die wohnen dann zum Beispiel zwei Wo-
chen in einem Surfer Space zusammen
und lernen sich kennen.
Inwiefern ist für Dich „Führen auf
Distanz“ ein Thema?
Dittrich:
Ich bin beim Thema Führung
super laissez faire. Meine Mitarbeiter
haben alle Freiheit, sonst wo auf der Welt
zu sein und verdienen mehr, als sie nor-
malerweise verdienen würden. Die Free-
lancer werden nach Projekten bezahlt.
Deshalb ist es deren Motivation, ihre Ar-
beit vernünftig zu machen – in der vor-
geschriebenen Timeline und mit der ge-
wünschten Qualität. Da brauche ich nur
„Management by exception“ zu machen
– also ausnahmsweise mal eingreifen,
wenn was total schiefläuft. Das ist aber
bisher noch nie passiert. Diesen Ansatz
beobachte ich auch bei größeren Fir-
men, die Mitarbeiter auf der ganzen Welt
führen: Man sucht sich von vornherein
Leute aus, die selbstständig arbeiten kön-
nen und das auch wirklich wollen. Dann
braucht man ihnen nicht ständig über die
Schulter gucken und die einzelnen Tasks
kontrollieren.
Hat das mobile Arbeiten auch
Schattenseiten?
Dittrich:
Es ist manchmal unglaublich
schwierig – was weniger mit der Arbeit
zu tun hat als mit den Nebenfaktoren.
Man hat keine Kollegen, ist völlig abge-
schottet von den anderen Menschen,
die zur Arbeit gehen. Du bist sonntags
oder montags genauso gelaunt wie frei-
tagabends, während die Menschen, die
zur Arbeit gehen, am Freitagabend total
froh sind und am Montagmorgen das
genaue Gegenteil empfinden. Wenn es
gut läuft, haben die Leute, die zusam-
menarbeiten, die gleiche Vision, wo die
Reise hingeht. Das verbindet einen, kann
einem ein Gefühl von Bedeutung geben.
Und außerdem sollte man bedenken: Ich
habe immer Ferien, aber ich arbeite auch
immer! Ich muss jeden Tag meine E-Mails
lesen. Das macht einen großen Unter-
schied zu den Menschen, die im Urlaub
komplett abschalten können.
Was kommt als Nächstes?
Dittrich:
Das Thema Langzeitreisen
ist für mich erstmal vorbei. Das Reisen
war wunderbar, aber jetzt kommt etwas
Neues. Ich schreibe gerade ein Buch. Es
wird eine autobiografische Novelle sein
über das, was ich bis heute alles erlebt
habe. Damit möchte ich das Kapitel
Reisen abschließen und Raum für das
Nächste schaffen, was danach kommt.
Interview: Stefanie Hornung
R
„Ich habe immer Ferien, aber ich arbeite auch
immer! Das ist der Unterschied zu allen, die im
Urlaub abschalten können.“