wirtschaft + weiterbildung
10_2016
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rer Zeit um war, und kündigte das Ende
30 Minuten vorher an, damit sie einschät-
zen lernte, welche Themen priorisiert an-
zugehen waren. Kleine Schritte mit ersten
Erfolgen halfen, die Komplexität zu redu-
zieren und auch mit einer 80-prozentigen
statt einer 150-prozentigen Lösung zufrie-
den sein zu dürfen.
Was tun, wenn eine Barriere
nicht aufgeht?
Nicht immer kommt das Coaching zu
einem solchen Ende. Auch das Nicht-
Überwinden einer Barriere kann eine Ent-
scheidung sein, wenn der Coachee alle
Vor- und Nachteile abgewogen hat und
bereit ist, die Konsequenzen zu tragen.
Im Fall einer Juristin im Versicherungs-
bereich war ich es, die das Coaching
aussetzte. Auslöser des Coachings war
ihre Unzufriedenheit mit ihrer bisherigen
Tätigkeit. Ziel unserer Treffen war, über
Alternativen nachzudenken. Nachdem
wir die Möglichkeiten erwogen hatten,
vermittelte ich ihr auf ihren Wunsch hin
Adressen von Juristen aus anderen Be-
reichen. Diese Kontakte wollte sie nut-
zen, um Informationen zu sammeln und
bewusst entscheiden zu können, ob sie
ihren Job behalten oder wechseln sollte.
Nach zwei Coaching-Sitzungen hatte sie
die Kontakte immer noch nicht genutzt,
erwartete aber noch mehr Angebote.
Das Beispiel zeigt, dass im Coaching zwar
ein vordergründiges Wollen vorhanden
sein kann, jedoch im Hintergrund Fakto-
ren eine Rolle spielen, die zu einem so
starken Abwehrverhalten führen, dass
die Barriere nicht überwunden werden
kann – getreu dem Motto: „Lieber das
bekannte Unglück als das unbekannte
Glück“. Wenn der Leidensdruck für eine
Veränderung noch nicht groß genug ist
oder die Zeit für eine Entscheidung noch
nicht reif, ist es sinnvoll, das Coaching
auszusetzen. Es kann sein, dass später
vor einem anderen Hintergrund eine Ver-
änderung vollzogen werden kann.
Mein Credo ist daher: Barrieren haben
auch ihren Nutzen für uns. Mit ihnen hal-
ten wir an alten Gewohnheiten fest. Mit
ihnen kennen wir uns aus, für sie haben
wir ein reichhaltiges Repertoire an Ver-
haltensweisen entwickelt. Bedenkt man
dies, verliert die Einstiegsfrage „Mein
Coachee ist im Widerstand – und jetzt?“
ihren Schrecken. Voraussetzung dafür ist
die richtige Arbeitshaltung. Dafür gilt es:
• Barrieren anzuerkennen als eine krea-
tive und intelligente Art, mit schwieri-
gen Situationen umzugehen
• sich mit ihrer guten Funktion zu ver-
bünden
• den Coachee zu leiten und dabei zu be-
gleiten, sich von der Barriere zu lösen.
So kann sich die Barriere öffnen und
neues Verhalten wird möglich.
Heide Straub
Wie sich Barrieren im Coaching überwinden lassen
Barrieren öffnen sich, wenn diese Bedingungen bei
der Coaching-Arbeit erfüllt sind:
· Der Widerstand gegen Veränderung ist schwach ausge-
prägt. Je stärker die Barriere und je länger der Coachee
daran „festhängt“, desto mehr Zeit wird das Öffnen erfor-
dern.
· Ein tiefer Wunsch nach Veränderung ist vorhanden. Eine
„Nice-to-have“-Einstellung, wenn also der Coachee nur
einen halbherzigen Veränderungswunsch mitbringt, kann
nicht genügend Energie, Kraft und Willen schaffen, um an
der Barriere zu arbeiten.
· Die inneren Regeln und Glaubenssätze des Coachees
unterstützen die Arbeit an der Barriere und lassen Ände-
rungen damit zu.
· Der Veränderungswunsch ist durch bewusstes Ausprobie-
ren im Handeln und Sprechen im beruflichen wie privaten
Alltag des Coachees gestützt.
· Der Coach baut aktiv eine Basis von Vertrauen und Sicher-
heit zum Coachee auf. Dies ist eine wichtige Bedingung,
weil an der Barriere oft Unsicherheiten, Ambivalenzen und
Ängste vorhanden sind.
Dos and Don‘ts.
Die folgenden Tipps verraten, mit welchen Verhaltensweisen der Coach dem
Coachee helfen kann, Barrieren zu überwinden – und was er dabei besser vermeiden sollte.
Vor diesen Coachingfallen muss sich der Coach bei
der Arbeit an Barrieren in Acht nehmen:
· Drängeln, aufdringlich Lösungen anbieten und Fragen
stellen, die die Verwirrung und Unsicherheit des Coachees
erhöhen: „Festnageln“ verschließt die Barriere.
· Vorwürfe machen, Druck ausüben, Forderungen stellen:
So wird keine Wirksamkeit im Tun erreicht.
· Belehren, Ratschläge erteilen und recht haben wollen:
Dieses Verhalten führt dazu, dass der Coachee jegliche
Stärkung und Unterstützung des Coachs abwehrt.
· Sich von der Sucht des Coachees nach Lösungen täuschen
lassen: Das zu schnelle Überqueren einer Barriere und
Erreichen des angestrebten Zustands kann eine Falle sein.
· In Konkurrenz gehen: Eine „Sieger-Verlierer“- oder „Oben-
unten“-Hierarchie zwischen Coach und Coachee verbaut
eine Vertrauens- und Sicherheitsbasis.
· Die Leistung des Coachees nicht würdigen: Leistung nicht
anzuerkennen, gar abzuwerten oder in der Überlast noch
mehr Leistung einzufordern, verstärkt die Barriere.
· In die eigene Problemlösung verliebt sein und damit den
Coachee aus den Augen verlieren.