Wirtschaft und Weiterbildung 10/2016 - page 27

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wirtschaft + weiterbildung
10_2016
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auf die „entstehenden Zukunftsimpulse
in dir, in anderen und zwischen euch“ zu
hören sei. Es gehe um das „gemeinsame
Hineinspüren“, das Eintauchen in die
„Orte der größten Möglichkeiten“, um die
„gemeinsame Stille“, in der „inneres Wis-
sen“ entstehe, um das „gemeinsame Ent-
wickeln“, es gehe darum, „die Zukunft
im Tun zu erkunden“, und es gehe im
Wesentlichen um das „gemeinsame Ent-
wickeln“, womit „das Neue in die Welt“
gebracht werde.
Mit dieser Gemeinschaftsideologie wird
dann die Suggestion unterstützt, dass
– wenn alle gemeinsam den Zyklus der
Theorie U durchlaufen – Interessenkon-
flikte zwischen den Beteiligten redu-
ziert oder ganz aus der Welt geschafft
werden. Das kann erklären, weswegen
es für Scharmer vorstellbar ist, dass in
einem globalen Prozess die Weltbank,
die chinesische Regierung, die Organisa-
tionsberatung McKinsey, multinationale
Wirtschaftsunternehmen und Nichtregie-
rungsorganisationen gemeinsam „durch
die Theorie U“ gehen, dabei ihre Inter-
essengegensätze überwinden und die ge-
meinsame „Zukunft im Tun erkunden“.
Otto Scharmer vertritt damit letztlich alte
Gemeinschaftsideologien, die die Inte-
ressengegensätze zwischen Personen,
Gruppen, Organisationen oder Klassen
negieren. Die Attraktivität dieser Gemein-
schaftsideologie ist leicht nachvollzieh-
bar. Je stärker Interessengegensätze und
Konfliktlinien wahrgenommen werden,
desto stärker ist das Bedürfnis nach In-
tegration und Gemeinschaft. Nils Bruns-
son spricht hier von „Reverse Coupling“
– umgekehrter Kopplung. Die Entschei-
dung eines Stadtrats, den Autoverkehr
innerhalb von 15 Jahren um 30 Prozent
zu reduzieren, lässt Bürger akzeptieren,
dass der Autoverkehr zunimmt. Das
Starten einer Werbekampagne für „Swe-
dishness“ macht es dem schwedischen
Elektronikkonzern leichter, Standorte
ins außereuropäische Ausland zu verla-
gern. Und genauso macht es für die Top­
manager von Organisationen Sinn, mit
der Verkündigung von Wertekatalogen,
der Publikation von Leitbildern oder eben
Change-Prozessen mit der Theorie U die
„Gemeinschaft“ aller zu betonen, wenn
gleichzeitig die Fliehkräfte in der Organi-
sation immer größer werden.
Soziologen sind die Letzten, die für die
Funktionalität dieser Form von „orga-
nisationaler Scheinheiligkeit“ kein Ver-
ständnis hätten. Organisationen sind
darauf angewiesen, ihre organisationale
Schauseite herzurichten, weil ansonsten
Konflikte in der Umwelt der Organisation
zu stark an die Kernprozesse der Organi-
sation herangetragen würden. Die chine-
sische Regierung, die Weltbank, McKin-
sey und Greenpeace sind hier sicherlich
nur Extremfälle für Organisationen, die
darauf angewiesen sind, ihre Schauseite
hübsch herzurichten. Wenn aber die Or-
ganisationen zu stark an diese Schauseite
glauben, dann verhindern sie damit, dass
Interessengegensätze überhaupt arti-
kuliert werden können, organisationale
Lernprozesse werden so unterbunden.
Die starke Gemeinschaftsorientierung der
Theorie U birgt also die Gefahr, dass die-
ses Konzept zu einer Lernverhinderungs-
theorie degeneriert.
4. blinder Fleck:
eine mit esoterischer Terminologie
angereicherte Steuerungsphantasie
Auf den ersten Blick ist die Theorie U
erst einmal ein ganz normales Phasen-
modell. Wie die meisten Phasenmodelle
führt auch die Theorie U eine Fortschritts­
suggestion mit sich. Der Mensch, das
Team, die Organisation, der Staat oder
gleich die gesamte Gesellschaft – alle sol-
len nach dem Durchlaufen der verschie-
denen Phasen geläutert sein.
Man erkennt die Ähnlichkeit zum Pha-
senmodell Karl Marx, wonach die
Menschheit nach der Urgesellschaft erst
die Sklavengesellschaft, dann die Feudal-
gesellschaft und später die kapitalistische
Gesellschaft durchlaufen müsse, bevor sie
in der kommunistischen Gesellschaft die
Klassengegensätze überwinden könne.
Aber auch in den kleinen Phasenmodel-
len des Managements steckt häufig diese
Fortschrittssuggestion. In sogenannten
PULM-Prozessen werden zuerst die Pro-
bleme analysiert, dann die Ursachen der
Probleme bestimmt, dafür werden Lösun-
gen erarbeitet und daraus werden dann
Maßnahmen entwickelt.
Im „Plan-Do-Check-Act-Zyklus“ geht es
darum, zuerst Pläne zur Erreichung vor-
her definierter Ziele aufzustellen, diese
dann entsprechend umzusetzen, danach
die Ergebnisse zu überprüfen, indem
man schaut, ob die Ziele auch erreicht
wurden, und wenn das der Fall ist, diese
Vorgehensweise als neuen Standard in
der Organisation zu etablieren. Die At-
traktivität der Theorie U besteht darin,
Buchtipp.
Gerhard Fatzer und Britta
Schönberger: „Organisation und Inspira-
tion“, EHP Verlag, Bergisch Gladbach 2015,
208 Seiten, 37,99 Euro.
Ausgehend von der Theorie U, die vom
Buddhismus beeinflusst ist, erschließen
die Autoren das Thema Inspiration für
Manager unter Rückgriff auf die Bibel!
„Preferred Futuring“ von Larry Lippitt wird
als Ergänzung der Theorie U vorgestellt.
Buchtipp.
Andrea Chlopczik: „Der magi-
sche Moment in der Prozessberatung: Über
Dreh- und Angelpunkte in Veränderungs-
prozessen“, Verlag Springer VS, Wiesbaden
2014, 106 Seiten, 59,99 Euro.
Die Autorin (dieser Masterarbeit) unter-
sucht Dreh- und Angelpunkte in Verände-
rungsprozessen. Die „Theorie U“ kommt
dabei in zwei Funktionen vor: Als Erklä-
rungsmodell und als Handlungsanleitung.
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