Wirtschaft und Weiterbildung 10/2016 - page 36

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
10_2016
finden, wie Erreichtes wertgeschätzt wer-
den kann. Dabei sollte lösungsorientiert
herangegangen werden. Der Coachee
muss etwa lernen, Lob auszusprechen
und anzunehmen. Nur, wenn Leistung
gewürdigt wird, kann der Coachee hinter
die Barriere und damit in den Zustand der
Zufriedenheit gelangen.
Barriere 4:
Abschluss-Barriere
An der Abschluss-Barriere verhindern das
Nicht-aufhören- und Nicht-loslassen-Kön-
nen die Beendigung eines Prozesses. Hin-
weise sind ein schnelles Arbeitstempo,
Perfektionismus und Detailverliebtheit.
Das dauerhaft hohe Energielevel führt
dazu, dass „der Hamster im Rad“ keine
Ruhe findet. Die Angst, in ein Loch zu
fallen, führt zu ständigem Weitermachen
und Unterdrücken von Gefühlen, sowohl
positiven als auch negativen.
Für die Arbeit an der Abschluss-Barriere
muss der Coachee in erster Linie in einen
Zustand der Entspannung kommen. Der
Coach sollte dazu sowohl auf inhaltli-
cher Ebene Kontakt machen („Es scheint
ständig noch etwas zu verbessern zu
sein?!“), wie auch auf emotionaler („Es
fällt schwer, loszulassen!?“).
Aus der Praxis: Beispiele zu
den vier Barriere-Arten
Wie die Arbeit an den Barrieren konkret
funktioniert, veranschaulichen folgende
authentische Beispiele aus meinen Coa-
chings.
Beispiel 1:
Einsichts-Barriere
Auslöser für das Coaching einer Projekt-
leiterin war ein neues Projekt, das grö-
ßer und umfassender als ihre bisherigen
war. Anfangs machte sie einen überlaste-
ten Eindruck, wirkte chaotisch. Im Coa-
ching fing sie an, Themen zu besprechen,
brachte diese jedoch nicht zu Ende und
sprang von einem Punkt zum nächsten –
typisch für die Einsichts-Barriere.
Ich schlug vor, alle Themen zu sammeln.
Mit der Frage: „Und was gibt es noch?“
führte ich sie immer wieder zum Sam-
meln zurück. Um später dranbleiben zu
können, schrieb ich alles auf ein Flip-
chart. Durch das Ordnen gewann die Coa-
chee langsam wieder einen Überblick,
wodurch Zuversicht entstand, die Auf-
gabe bewältigen zu können. Sie machte
sich ihre positiven Erfahrungen und Stär-
ken bewusst. Wenn sie das Thema wech-
selte, spiegelte ich ihr Verhalten wider
und fragte: „Wie hängt das eine Thema
mit dem anderen zusammen?“ oder „An
welchem Thema wollen Sie jetzt weiter-
arbeiten?“ Im Verlauf des Coachings ent-
stand so eine Liste, was in den nächsten
Tagen zu klären und zu entscheiden war.
Damit gewann die Coachee die Sicher-
heit, die weiteren Schritte anzugehen.
Beispiel 2:
Handlungs-Barriere
Auslöser für das Coaching eines Wissen-
schaftlers war, dass er über sieben Jahre
trotz vieler Bewerbungen nicht zum Pro-
fessor berufen wurde. Jedes Mal waren
andere vorgezogen worden. Im Coaching
reflektierten wir sein bisheriges Vorge-
hen, wobei sich zeigte, dass er sich hinter
einer Barriere mit dem Motto „Durch-
halten und keine Ansprüche stellen“ zu-
rückgezogen hatte. Als er das erkannte,
seine Kränkung wahrhaben und seinen
Wunsch mit Kraft verbinden konnte,
wurde Energie zum Handeln frei. Wir er-
arbeiteten neue Handlungsalternativen,
um wirksam zu werden. Und tatsächlich:
Die nächste Bewerbung hatte Erfolg.
Das Beispiel zeigt, wie sich eine Barriere
zunächst als Schutz vor Enttäuschung
aufbaut und Wirksamkeit im Tun verhin-
dert. Beim Blick hinter die Barriere offen-
bart sich, welche Vorstellung einer neuen
Wirklichkeit dahintersteht. Aus dieser Er-
kenntnis erwächst Kraft zur Veränderung.
Beispiel 3:
Stärkungs-Barriere
Auslöser für das Coaching eines Ge-
schäftsführers waren die Beschwerden
seiner Führungskräfte, dass er Hierarchie-
grenzen nicht einhalte, auf die Ebenen
durchgreife und zu wenig Anerkennung
vermittle. Typisch für die Stärkungs-Barri-
ere: Der Coachee konnte so, wie er andere
für ihre Arbeit nicht würdigen konnte,
das auch nicht bei sich selbst tun. Zwi-
schen den Treffen sollte er am Ende jedes
Arbeitstages feststellen, wofür er sich
heute selbst würdigen kann. Parallel sam-
melten wir Gründe, weshalb er seine Füh-
rungskräfte wertschätzen sollte, wodurch
er auch seinen Blick auf sie schärfte. Ein
weiterer Schritt war, Gespräche mit den
Führungskräften zu üben, um mit ihnen
zu klären, was auf den Ebenen darun-
ter zu tun ist, um mehr Wertschätzung
aufzubauen. Durch das Coaching wuchs
das Vertrauen in seine Führungskräfte, er
konnte seine Fehler aus der Vergangen-
heit eingestehen und machte die Erfah-
rung, dass ihm dies nicht als Schwäche
ausgelegt wurde, sondern die Achtung
der Führungskräfte wachsen ließ. Gleich-
zeitig verbreitete er weniger „Kampfstim-
mung“ und wurde zufriedener als vorher.
Beispiel 4:
Abschluss-Barriere
Das Anliegen der Coachee, einer Innen-
einrichterin, war es, ihren Führungs-
stil zu reflektieren und Kriterien für die
Büroorganisation und die Auswahl neuer
Mitarbeiter zu erarbeiten. Aufgrund der
hohen Komplexität der Themen und ihrer
– typisch für die Abschluss-Barriere –
problemfokussierten Herangehensweise
fiel es ihr schwer, zum Ende zu kommen.
Kurz vor Schluss unserer Arbeitstreffen
sprach sie immer wieder neue Aufgaben
an und überzog so unsere Sitzungen.
Für die Arbeit an der Barriere war hilf-
reich, zu Beginn jedes Treffens eine ge-
naue Themensammlung zu machen und
die Dauer für jedes Thema festzulegen.
Um einen emotionalen Zugang zu ermög-
lichen, ließ ich die Coachee immer wie-
der ihre Zufriedenheit mit den bisherigen
Ergebnissen feststellen. Ich teilte ihr bei
jeder Sitzung mit, wann die Hälfte unse-
R
Heide Straub
ist Mitgründerin
der „Comteam AG
Academy + Con-
sulting“ in Gmund
am Tegernsee, wo sie seit 1988 als
Coach tätig ist. Sie ist Ansprechpart-
nerin für den „Comteam Coaching-
Pool“, einem Zusammenschluss von
17 Coaching-Spezialisten bestimmter
Themenfelder, und für die Business-
Coaching-Ausbildung, die es seit 15
Jahren gibt.
Comteam AG
Kurstraße 2-8, 83703 Gmund
Tel. 08022 96660
AUTORIN
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