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wirtschaft + weiterbildung
09_2015
in kleine Einheiten aufteilen. Außerdem
planen Start-ups nicht lange, sondern
fangen einfach an. „Scheitere schnell und
lerne aus dieser Erfahrung“, ist deren
Leitspruch. In Sachen Geschwindigkeit
können sich Unternehmen von Start-ups
abschauen, dass sie kein Geld für große
Projekte verschwenden sollten. Es ist Er-
folg versprechender, sich auf die Bottom-
up-Innovation zu konzentrieren und den
Weg der kleinen Schritte zu gehen, indem
man sich auf ein bestimmtes Produkt für
eine bestimmte Zielgruppe konzentriert.
Start-ups sind auch in ihrer Arbeitsweise
transparenter. Sie machen die Entstehung
eines neuen Produkts öffentlich, kom-
munizieren mit ihren Fans schon bevor
das Produkt fertig ist, beispielsweise mit
Crowdfunding-Kampagnen.
Darüber hinaus öffnen sie sich stärker
für Partner und andere Start-ups. Dafür
nutzen sie verschiedene Plattformen und
Technologien wie Anwendungsprogram-
mierschnittstellen, sogenannten APIs, um
Daten zwischen verschiedenen Unterneh-
men auszutauschen. Denken Sie an die
Plattform Slack, auf der Leute von ver-
schiedenen Unternehmen zusammen an
einem Projekt arbeiten. Die Devise muss
lauten: Minimiere Bürokratie, um dich
schneller zu bewegen. Mach die Dinge
nicht zu kompliziert, sondern einfach
und funktional. Das hört sich vielleicht
für viele abgedroschen an, ist heute aber
wichtiger als je zuvor in der neuen Wirt-
schaft.
Sie coachen viele Führungskräfte.
Welche Führungskräfte sind denn die
Haupttreiber in Bezug auf die digitale
Transformation und welche Rolle spielt
HR dabei?
De Waele:
Trends wie Robotik am Ar-
beitsplatz sind nicht aufzuhalten – die
kommen so oder so. Technologie ist
immer vorwärts gerichtet, nicht rück-
wärts. Dabei werden diejenigen Un-
ternehmen die Gewinner sein, die ihre
Mitarbeiter wertschätzen. Das werden
qualifizierte Fachkräfte immer stärker
verlangen können. Die Menschen in Un-
ternehmen, das sogenannte „Humanka-
pital“, ist wichtiger geworden als das
Finanzkapital. HR hat die Aufgabe, eine
entsprechende neue Arbeitskultur zu un-
terstützen.
Werden die Menschen zukünftig immer
noch in Büros arbeiten?
De Waele:
Es wird eine größere Vielfalt
der Arbeitsplätze geben – zum Beispiel
mehr Flexibilität, um im Home-Office
zu arbeiten, aber auch viele Coworking
Spaces, wo die Mitarbeiter mit Gleichge-
sinnten zusammenkommen und von der
Dynamik des Austauschs profitieren. Die
Unternehmen müssen ihre Büros so an-
genehm und komfortabel wie möglich ge-
stalten und Dienstleistungen wie gesun-
des Essen, Yoga und Fitnesskurse oder
sogar Kindergärten anbieten. Damit die
richtigen Leute an Bord bleiben, müssen
sich die Personalabteilungen immer mehr
einfallen lassen.
Wie könnten die Arbeitsplätze von
morgen aussehen?
De Waele:
Wenn Sie sich Unternehmen
wie Apple, Google und sogar Uber an-
schauen: Das sind große Büroräume, die
völlig offen sind und große durchsichtige
Dächer haben. Jeder Raum ist modular
aufgebaut und kann an unterschiedli-
che Aufgabenstellungen angepasst wer-
den. Sie steuern das Klima im Inneren;
gleichzeitig können sie Licht und Luft
hereinlassen. Die Büros sind manchmal
wie Landschaften, mit Pflanzen und Bäu-
men, aber auch Cafés und Snack-Bars
wabern durch diese Strukturen. Das Ziel
besteht darin, die Grenzen zwischen dem
Gebäude und der Natur völlig zu verwi-
schen. Unternehmen arbeiten dabei auch
mit lokalen Anbietern zusammen und er-
öffnen kleine Restaurants oder Geschäfte.
Apple hat vor Kurzem in die größte Solar-
anlage der USA investiert. Das ist nicht
nur eine wichtige Botschaft an den Rest
der Branche, sondern auch attraktiv für
die jüngere Generation.
Die Möglichkeit, rund um die Uhr zu
arbeiten, gilt als Risiko für unsere
physische und psychische Gesundheit.
Wie erreicht man eine gute Balance
zwischen Hochleistung und Freizeit?
De Waele:
Es kommt vor allem auf fle-
xible Vereinbarungen zwischen dem
Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer an.
Unternehmen sollten Mitarbeitern mehr
Freiheit lassen, zu entscheiden, wann
und wo sie arbeiten möchten. Aber rund
um die Uhr zu arbeiten ist natürlich uto-
pisch. Roboter können das, aber Men-
schen brauchen ihren Schlaf, um produk-
tiv zu sein und konzentriert zu bleiben.
Wenn wir uns nochmal die Start-ups an-
schauen, die sagen immer, dass sie lange
Arbeitszeiten haben, aber das stimmt gar
nicht. Sie arbeiten in stark fokussierten
Blöcken von ein paar Stunden und ma-
chen dann eine Pause oder konzentrieren
sich auf etwas anderes. Das ist die Art,
wie wir heute arbeiten sollten: flexibler,
aber stark fokussiert.
Viele Menschen haben Angst vor
technologischen Trends wie Big Data
oder Robotik. Medien berichten über
Szenarien, in denen Roboter Bewerber
auswählen oder vorhersagen, welche
Mitarbeiter bald kündigen. Inwiefern
werden wir von der Technik bedroht?
De Waele:
Ich sehe da nicht so schwarz.
Wir Menschen haben eine positive An-
wendung der Technik in der Hand. Wir
müssen nur entscheiden, was das Beste
für uns ist. Wir vergessen gern, dass das
menschliche Gehirn sehr vielseitig ist. Es
gibt eine Menge an Aufgaben, die trotz
Roboter, künstlicher Intelligenz und ko-
gnitivem Computing nicht automatisiert
werden können. Ein Computer empfindet
keine Empathie und kann nicht wirklich
ohne einen Befehl handeln. Natürlich
kann die Technik auch missbraucht wer-
den. Die US-Armee experimentiert bereits
mit Robotern, die Menschen automatisch
töten können. Da entstehen herausfor-
dernde Fragen für die Gesellschaft. Wir
müssen festlegen, wie weit wir gehen
und wie wir die Technologie nutzen wol-
len. Google Glass ist ein gutes Beispiel
dafür: Die Technik hat eine Menge Vor-
teile für bestimmte Branchen, vor allem
im Gesundheitssektor. Aber privat wol-
len wir nicht ohne Zustimmung gefilmt
werden. Im Endeffekt entscheiden die
Benutzer darüber, ob sie bestimmte Tech-
nologien akzeptieren. Aber dieser Prozess
ist kein Selbstläufer. Wir müssen darüber
diskutieren, welche Entwicklungen wir
voranbringen möchten.
Interview: Stefanie Hornung
Veranstaltungstipp.
Rudy De Waele spricht
am 15. September, 14.30 Uhr (Halle 2.1 der
Messe Köln) über das Thema „Shift 2020 –
Reshaping Work in the Digital Age”.
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