wirtschaft und weiterbildung 9/2015 - page 25

wirtschaft + weiterbildung
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die „initiale Verunsicherung“ gelten als
wichtige Arbeitsprinzipien in Gruppendy-
namikseminaren. Weitere Prinzipien sind
das „Hier-und-Jetzt-Prinzip“ (geredet
wird nur über Ereignisse, die gerade pas-
sieren. Eine gemeinsame Kommunikation
wird so erleichtert) und das „Feedback“-
Prinzip (lernen geschieht, wenn jeder das
eigene Erleben den anderen mitteilt).
Auf Kurt Lewin gehen viele Aktionen zu-
rück (Teilnehmer bilden Lerntandems,
aus jeder T-Gruppe treffen sich Vertreter
zur abendlichen Reflexion, Teilnehmer
hören zu, wenn alle Trainer zusammen-
sitzen und kritisch über den Verlauf der
Veranstaltung reden, …). Für Gruppen-
dynamikseminare gilt, dass die übliche
Trennung von emotionalem Erleben und
Denken aufgehoben ist.
Die Kritik
Fritz B. Simon ist - wie eingangs geschil-
dert – ein leidenschaftlicher Fan der
Gruppendynamik. Aber er sieht auch Ri-
siken. In den 1970er- und 1980er-Jahren
erlebten Gruppendynamikseminare in
Deutschland einen Boom, der nicht nur
deshalb abebbte, weil fünftägige Semi-
nare zu teuer wurden. Auf Distanz gin-
gen Personalentwickler auch deshalb,
weil es Veranstalter gab, bei denen die
Klärung persönlicher Beziehungen zum
Selbstzweck ausartete. „Es gab auch ge-
legentlich eine unangemessene Psycho-
logisierung des Geschehens“, so Simon.
Stellvertretend für diese Auswüchse gel-
ten die sogenannten Ausschluss-Spiele.
Eine Gruppe, die zum Beispiel so tut, als
säße sie in einem Rettungsboot, muss
entscheiden, ob andere Schiffbrüchige
auch noch ins Boot dürfen oder nicht. Die
„Ertrinkenden“ können Argumente vor-
bringen, warum ausgerechnet sie gerettet
werden sollen. Solche Übungen gelten
laut Santer als Kunstfehler. Es gehe der
Gruppendynamik niemals darum, die
Persönlichkeit der einzelnen Teilnehmer
auseinanderzunehmen. Statt auf die Psy-
che Einzelner zu schauen, konzentrierten
sich professionelle Trainer mit ihren Inter-
ventionen auf die Gruppenprozesse und
insbesondere auf die Muster der Kommu-
nikation in einer Gruppe.
Zu den Gruppendynamikseminaren der
„härteren“ Sorte gehörte früher auch,
dass die Trainer eine intensive Auseinan-
dersetzung mit dem Thema „Autorität“
anzettelten. Heute sehen Trainer wie San-
ter die Sache entspannter: „Autoritätskri-
sen werden nur zum Gegenstand des Se-
minars gemacht, wenn sie sich aus einer
T-Gruppe von selbst heraus entwickeln.“
Viel wichtiger sei es, dass Führungs-
kräfte lernten, trotz ihrer hierarchischen
Position Macht an unterstellte Teams
freiwillig abzugeben. Bei Hochleistungs-
teams habe sich das bewährt: Die Ent-
scheidungsgewalt bekomme immer das
Teammitglied übertragen, dass zur Be-
wältigung einer bestimmten Situation am
besten geeignet sei. Simon: „Arbeitsfä-
hige Teams sind aufgrund der kollektiven
Intelligenz ihrer Mitglieder immer dann
besonders gut, wenn es um neue Ideen
zur Bewältigung von Zukunft und Nicht-
Wissen geht.“ Ein Vorzug von gruppen-
dynamisch geschulten Führungskräften
sei es, dass sie wüssten, wann genau sie
Macht an Teams abgeben müssten.
Da es in den fünftägigen Seminaren „nur“
um ein intensives Erleben und Reflektie-
ren geht, werden neuerdings von einigen
Anbietern kurze, ergänzende Transfer-
module angeboten, die einige Monate
später stattfinden. Jetzt kann der Nutzen
des Gruppendynamikseminars konkret
auf den Prüfstand gestellt werden. Las-
sen sich aus „Lewins Labor“ wirklich Lö-
sungen für moderne Führungsprobleme
aus dem Alltag der Teilnehmer ableiten?
Martin Pichler
R
Buchtipp.
Monika Stützle-Hebel und Klaus
Antons, zwei Mit-Organisatoren der Tagung
„Feldkräfte“, sind auch die Herausgeber
des Buchs „Feldkräfte im Hier und Jetzt“
(Carl-Auer 2015, 386 Seiten, 29,95 Euro),
das in 14 Beiträgen die Aktualität Lewins
(Frauenquote, Burn-out, ...) herausarbeitet.
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