wirtschaft und weiterbildung 9/2015 - page 23

wirtschaft + weiterbildung
09_2015
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beitsfähigen Team zusammenzuwach-
sen, das gewisse „Bastel-“ oder Entschei-
dungs-Übungen meistert und sich bei die-
ser Entwicklung zu einer „reifen“ Gruppe
selbst beobachtet und selbst erforscht.
Zum berühmten Kennzeichen eines
Gruppendynamikseminars wurde der
Start: Sobald sich der Trainer mit seiner T-
Gruppe in einen Gruppenraum zurückge-
zogen hat, schaut er nur noch gelangweilt
und schweigend an die Decke. Wenn er
angesprochen wird, behauptet er, er sei
nur für die Rahmenbedingungen zustän-
dig. Zur Gruppe zusammenzuwachsen,
das müssten die Teilnehmer schon alleine
hinbekommen. Dass die Gruppe darauf
angewiesen ist, ihren Lernprozess selbst
zu gestalten, wirkt in der Anfangsphase
auf alle Beteiligten sehr verunsichernd.
Lewin wollte durch den Schock der feh-
lenden Regeln die Teilnehmer zwingen,
alte Verhaltensweisen zu überdenken
(Unfreeze), damit neue ausprobiert wer-
den können. Gleichzeitig wird durch den
Mangel an Regeln erfahren, wie wichtig
Vorgaben offenbar für viele Menschen
sind. Die „Niedrigstrukturiertheit“ und
R
Kurt Lewin: Noch heute schauen wir durch seine Brille
Von Kurt Lewin stammen so berühmte Sätze wie „Nichts
ist so praktisch wie eine gute Theorie“ oder auch „Man
versteht ein System erst dann, wenn man versucht, es
zu ändern.“ Diese Zitate zeigen, dass der deutsch-ameri-
kanische Psychologieprofessor, der 1933 in die USA aus-
wanderte und zuletzt Leiter des Center for Group Dynamics
am Massachusetts Institute of Technologie (MIT) war,
großen Wert darauf legte, mit seiner „Aktionsforschung“
praktischen Alltagsnutzen zu stiften. Das ist ihm durchaus
gelungen. Hier eine kleine Auswahl von Begriffen und Denk-
ansätzen, die auf Lewin zurückgehen:
Führungsstil
Dieser Begriff wurde von Lewin geprägt. Seine Experimente
ergaben, dass bei autoritärem Führungsstil viel geleistet
wurde, aber nur, wenn der Chef kontrollierte. Erfolgreicher
war der demokratische Stil. Namhafte US-Konzerne setzten
daraufhin auf Motivation statt auf ein Befehlssystem.
Gruppendynamik
Dieser Begriff wurde von Lewin (mit-)geprägt. Menschliche
Gruppen entwickeln sich im Laufe der Zeit nach bestimm-
ten Regeln zu einem Ganzen, das mehr ist als die Summe
seiner Teile. Durch gegenseitiges Feedback verbessern
sich gruppendynamische Prozesse rasant.
Kraftfeldanalyse
Wer Veränderungen initiieren will, sollte die Kräfte analysie-
ren, die auf die betroffenen Personen oder Organisationen
einwirken. Welche fördernden/hemmenden Kräfte in einer
Person gibt es? Welche fördernden/hemmenden Kräfte im
Umfeld der Person gibt es (immer auf ein Ziel bezogen)?
Hintergrund.
Kurt Lewin (1890 – 1947) wäre in diesem Jahr 125 Jahre alt geworden. Er gilt als einer
der Entdecker der Gruppendynamik und hat außerdem noch mit vielen anderen Innovationen die
Sozialpsychologie beeinflusst.
Phasen eines Change-Prozesses
Lewin gliederte einen Veränderungsprozess in drei nachei-
nander ablaufende Phasen:
1. Unfreezing (Auftauen). Hier wird den Betroffenen klarge-
macht, dass es so nicht weitergehen kann.
2. Mooving (Übergang). Hier findet der eigentliche Wandel
statt. Neue Verhaltensweisen werden trainiert.
3. Freezing (Verfestigen). Das Neue ist etabliert und ein
Gefühl von Sicherheit stellt sich wieder ein.
Das Verhalten und der Einfluss der Umwelt
Für die Psychoanalytiker erklärt sich das menschliche Ver-
halten aus frühkindlichen Erfahrungen. Für die Behavioris-
ten wird das Verhalten durch die Umwelt diktiert. Lewin plä-
dierte für Ganzheitlichkeit: „Das Verhalten eines Menschen
ist eine Funktion aus den Merkmalen der Person und (!)
der jeweiligen Umgebung der Person.“ Das erklärt, warum
jemand in einer Abteilung als Minderleister gelten kann und
sich in einer anderen sehr wohl motiviert ins Zeug legt.
Kurt Lewin.
Gezeichnet
von Karina Antons,
Visual Facilitator der
Tagung.
Zeichnung: Karina Antons, Bonn
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