wirtschaft und weiterbildung 9/2015 - page 14

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wirtschaft + weiterbildung
09_2015
INTERVIEW.
Jenke von Wilmsdorff ist ein deutscher
Fernsehjournalist, der insbesondere durch die RTL-Doku-
Reihe „Das Jenke-Experiment“ berühmt wurde. Für dieses
TV-Format unternahm er Selbstversuche zu gesellschafts-
relevanten Themen wie Alkoholismus oder Leben in Armut.
Live erleben können ihn die Besucher der Messe „Zukunft
Personal“ in Köln: Als Keynote-Speaker wird er dazu aufru-
fen, entwicklungshemmende Komfortzonen zu überwinden.
Ist Ihre Experimentierfreudigkeit, die man von Ihren
investigativen Reportagen aus dem Fernsehen kennt, eine
Frage Ihrer Persönlichkeit oder haben Sie erst mit der Zeit
Gefallen an derartigen Herausforderungen gefunden?
Jenke von Wilmsdorff:
Letzteres! Das hat sich aus der Not
heraus so ergeben. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich
drei Jahre alt war. Aufgrund dieser Umstände war ich ein sehr
ängstliches Kind. Immer dann, wenn ein gewohnter Rhythmus
durchbrochen wurde, etwas, an das ich mich gewöhnt hatte,
war ich nicht nur irritiert wie andere Kinder, sondern wurde
davon regelrecht aus der Bahn geworfen. Das hat sich auf alle
Lebensbereiche übertragen: Ich war ängstlich, ich war kontakt-
scheu. Ich hatte sogar allergrößte Probleme, feste Nahrung zu
mir zu nehmen. Das war wirklich extrem. Ich bin über viele
Wochen erst mit nahrungsunterstützenden Mitteln und dann
unter ärztlicher Aufsicht ernährt worden, weil das gesundheits-
bedrohliche Züge annahm. Von daher war ich das komplette
Gegenteil eines Draufgängers.
Dieser Zustand dauerte ungefähr bis zum Eintritt in die Puber-
tät. Da merkte ich langsam, dass es mir nicht gefällt, wie sehr
mich diese Angst einengt, wie sehr sie mir die schönen Mo-
mente im Leben raubt und mich überhaupt nicht so sein lässt,
wie ich eigentlich bin. Das war damals keine Zeit, wo man
mit Kindern zum Psychologen gerannt ist, was man ja heute
zum Glück schon früh tun würde. So habe ich das wirklich
selbst in die Hand genommen, indem ich mich peu à peu, also
portionsweise, in ganz kleinen Dosen meinen Ängsten gestellt
habe. Den Großteil meiner Ängste bin ich im Laufe der letzten
Jahre dann einfach losgeworden, weil ich Dinge anders sehe,
betrachte und einordne. Das war jedoch eine längere Entwick-
lung.
Was treibt Sie heute an, nach diesem Selbstfindungsprozess?
von Wilmsdorff:
Das Ziel hat sich gar nicht verändert. Natürlich
bin ich mittlerweile sehr viel mehr mit mir im Reinen, als ich
das vor Jahren war. Aber das ist ja ein Prozess, der hoffentlich
niemals aufhört. Also in dem Augenblick, wo man sagt, so,
jetzt bin ich hundertprozentig bei mir angekommen, jetzt ist
alles gut, ist das eine Form von Stillstand. Da bin ich nicht und
will ich auch gar nicht hin, ich entwickle mich ja auch noch
weiter. Die Ziele, die ich mir vielleicht vor zehn oder vor fünf
Jahren gesetzt habe, müssen dabei aber nicht deckungsgleich
sein mit den Zielen, die ich jetzt habe, im Alter von 49 Jahren.
Zudem kommt die Neugier. Ich bin ein irrsinnig neugieriger
Mensch – das war ich schon immer.
Und ich bin der Meinung, dass ich über gewisse Dinge nur au-
thentisch sprechen kann, wenn ich sie bis zu einem gewissen
Grad selbst erlebt habe, mich mit ihnen direkt auseinander-
gesetzt habe. Das ist der Motor für meine Experimente. Das
Thema Alkohol zum Beispiel, die Suchtproblematik, da weiß
eigentlich jeder: Wenn man zu viel trinkt, ist das gesundheits-
schädlich. Und wenn man sehr viel mehr trinkt als man sollte,
Foto: Christine Trewer
„Es gibt für jeden
Möglichkeiten, der
Monotonie im Job
zu entkommen“
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