wirtschaft und weiterbildung 9/2015 - page 17

wirtschaft + weiterbildung
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lang zu machen würde mich interessieren. Aber das dauerhaft
zu machen, reizt mich überhaupt nicht.
Das wäre dann also ein Jenke-Experiment?
von Wilmsdorff:
Ja, definitiv, ein hochspannendes. Wie gesagt
auch gerne in der Politik. Wo man immer denkt, was machen
die da bloß und wenn man sich ein bisschen näher damit aus-
einandersetzt, merkt, welche Intentionen dahinter stecken und
wie oft die Diplomatie die Vernunft quasi in die Knie zwingt.
Wie komplex das alles ist und wie alles zusammenhängt und
wie es im Endeffekt doch alles wieder nur wirtschaftliche Inte-
ressen sind, die weltweit die Politik bestimmen. Da würde ich
gerne mal richtig eintauchen und eine Zeit lang von berichten.
Was war denn bislang Ihr schlimmster Job?
von Wilmsdorff:
Ich habe etwa 50 verschiedene Jobs gemacht
in den letzten Jahren. Dabei habe ich keine Aufgaben gescheut,
die körperlich irrsinnig anstrengend sind. Ich habe zum Bei-
spiel den Kohlenschlepper in Berlin gemacht. Oder in Indone-
sien war ich in einer Schwefelmine, wo man kilometertief über
diesen brodelnden giftigen Schwefeldämpfen den erstarrten
Schwefel aus der Erde hackt und viele Kilometer durch den
Wald zur Verkaufsstelle befördert. Doch mit solchen körper-
lichen Extrembelastungen komme ich zurecht. Der härteste
Job für mich persönlich war ein Job in Bangkok: Zwei Tage
lang war ich einer der sogenannten Seelensammler. Das sind
zwei, drei Organisationen auf Freiwilligenbasis, die Unfallop-
fer auflesen, um sie in die Krankenhäuser zu bringen, weil
das thailändische Gesundheitssystem so ausgerichtet ist, dass
der Notarzt nur kommt, wenn sicher ist, dass die Rechnung
auch bezahlt wird. Es gibt in den ländlichen Regionen aber
viele Menschen ohne Krankenversicherung und die bleiben
dann einfach auf der Straße liegen. Die Seelensammler fahren
immer einen Wettkampf gegen die Zeit. Schaffen sie es recht-
zeitig, diese Schwerstverletzten und oft schrecklich entstellten
Menschen aufzusammeln und ins Krankenhaus zu bringen?
Denn sind sie erst dort, müssen sie auch behandelt werden.
Meist schaffen sie es aber nicht. Das habe ich zwei Tage und
zwei Nächte begleitet und infolgedessen auch viele Verkehrs-
tote gesehen und angefasst. Das war für mich psychisch der
schlimmste Job.
Wie motivieren Sie sich in solchen Situationen?
Wie überwinden Sie Ihre Vorbehalte oder auch Ängste?
von Wilmsdorff:
Indem ich mir sage: Es gibt Menschen, die
machen das aus Überzeugung. Das sind diese Freiwilligen, die
nach Dienstschluss, während sich unsereiner vor den Fernse-
her hockt oder in den Biergarten setzt, ihre Uniform anziehen
und in das Auto steigen. Die fahren die ganze Nacht durch,
um Menschen zu retten und am nächsten Morgen gehen die
wieder ihrer eigentlichen Arbeit nach. Da fragt man sich, wie
schaffen die das. Das ist zum Beispiel so eine Frage, die mich
interessiert: Wie komme ich zu dieser Kraft, der Gesellschaft so
viel zurückzugeben, aus reiner Nächstenliebe. Dann sage ich
mir, die machen das ein Leben lang, dann werde ich das doch
wohl ein, zwei Tage hinkriegen.
Das ist ja immer der Vorteil bei Ihren Experimenten:
Sie können rechtzeitig die Reißleine ziehen.
von Wilmsdorff:
Klar, es ist alles zeitlich begrenzt. Ansonsten
würde ich ja dabei bleiben und wäre dann kein Journalist
mehr, sondern ein Mensch, der durch seinen Beruf zu einer
neuen Tätigkeit gekommen ist. Die Frage stellt sich ja auch:
Gab es irgendeinen Job, bei dem ich gesagt hätte, das wäre
jetzt für mich eine echte Alternative? Da muss ich Ihnen ganz
ehrlich antworten, aufgrund dieser großen Abwechslung in
meinem Beruf gab es das bis jetzt nicht. Und da schließt sich
auch der Kreis zum Anfang unseres Gesprächs. Ich war halt
immer sehr neugierig und die Abwechslung ist genau das,
was ich an meinem Beruf irrsinnig liebe. Dass ich mich immer
wieder mit neuen Geschichten und neuen Themen auseinan-
dersetzen kann, dass keine Monotonie entsteht, weil Monoto-
nie und Langeweile für mich persönlich unerträglich sind. So
könnte ich nicht leben, da würde ich wirklich verkümmern.
Das muss auch wirklich niemand aus meiner Sicht: Auch wenn
man Geld verdienen muss und abhängig davon ist, gibt es für
jeden Möglichkeiten, dieser Monotonie zu entkommen.
Interview: Petra Jauch
Der Mann.
Der Fernsehjournalist, Autor und Schauspieler
Jenke von Wilmsdorff, geboren 1965 in Bonn, absolvierte
nach dem Abitur eine Schauspielausbildung und arbeitete
für verschiedene Theater. In den 90-er Jahren übernahm
er Rollen in bekannten TV-Serien, seit 2001 arbeitet er als
Reporter, Autor und Redakteur für RTL. Bekannt wurde er
vor allem durch sein eigenes Format „Das Jenke-Experi-
ment“, in dem er sich gesellschaftsrelevanten Themen in
Selbstversuchen stellt.
Die Auszeichnung.
Für die RTL-Extra-Reportage „Das
Jenke-Experiment: Jenke als alleinerziehende Mutter“
erhielt er 2012 den Juliane Bartel Medienpreis. Im selben
Jahr wurde er für die Reportage „Das gnadenlose Geschäft
mit der Flucht aus Afrika“ in der Kategorie „Current Affairs“
für den International Emmy nominiert.
Die Bücher.
Im April 2012 erschien sein erstes Buch „Brot
kann schimmeln, was kannst Du? – Meine wildesten Jobs“.
Seine Ansichten zum Thema Angst und Grenzerfahrungen,
die er bei seinen zahlreichen Reisen und Experimenten
erwarb, veröffentlichte von Wilmsdorff 2014 in dem Buch
„Wer wagt, gewinnt: Leben als Experiment“.
Die Keynote.
Jenke von Wilmsdorff wird auf der „Zukunft
Personal“ in Köln eine Keynote zum Thema „Wer wagt,
gewinnt – Ausbruch aus der Komfortzone“ halten. Die Ver-
anstaltung beginnt am Donnerstag, 17. September 2015,
um 14.30 Uhr in der Messehalle 2.1 (Praxisforum 1).
Jenke von Wilmsdorff kommt
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