wirtschaft und weiterbildung 9/2015 - page 27

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wirtschaft + weiterbildung
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verlieren, steht für sie ein anspruchsvol-
ler Lernprozess an. Intuitive und emotio-
nale Führungskompetenz gewinnt daher
immer mehr an Bedeutung. Sie kann ge-
lernt werden, wenn Einsicht, Wille und
professionelle Anleitung vorhanden sind.
Bei zahlreichen Projekten zur Organisati-
onsentwicklung hatte ich in den letzten
40 Jahren das Privileg, bemerkenswerte
Topmanager kennenzulernen, die bereit
waren, sich auf Feedbackprozesse einzu-
lassen und das im gruppendynamischen
Training Gelernte in ihren Unternehmen
einzusetzen. Wenn das der Fall war, dien-
ten sie ihren Kollegen und Mitarbeitern
als Vorbild.
Wenn Menschen in Gruppen zusammen-
kommen, nehmen sie mehr unbewusst
als bewusst aufeinander Einfluss. Mit
allem, was sie tun oder lassen, definieren
sie ihre Beziehungen. Es entsteht Grup-
pendynamik als Prozess. Der Gestalt-Psy-
chologe Kurt Lewin entwickelte in den
USA in den vierziger Jahren gemeinsam
mit seinen Studenten und Kollegen eine
Philosophie und Strategie zur Qualifi-
zierung emotionaler und sozialer Fähig-
keiten, die unsere Lebensqualität und
berufliche Leistung positiv beeinflussen.
Dieses Lernformat ist unter dem Begriff
der Gruppendynamik oder auch als T-
Gruppen-Methode bekannt geworden. In
den folgenden Jahrzehnten sollte dieses
Verfahren das Managementtraining und
die systemische interaktionelle Organi-
sationsentwicklung in den USA und in
Europa revolutionieren. Diese Revolution
hält bis heute an. Das ist Grund genug,
der Idee, der Strategie, der Methode und
dem Erfolgsgeheimnis der Gruppendyna-
mik nachzuspüren.
Wie sich Gruppendynamik
lernen lässt
Menschen haben das Bedürfnis und die
Ressourcen, ihre eigenen Lösungen zu
finden. Diese Fähigkeit kann entwickelt
werden, wenn ihnen sichere Rahmenbe-
dingungen, Vertrauen und professionelle
Anleitung geboten werden. Seit 1974
biete ich dies in Wochenseminaren be-
sonders Führungskräften an. Die zentrale
Veranstaltung in diesen Laboratorien ist
die sogenannte Trainings-Gruppe, auch
T-Gruppe genannt. Sie besteht aus sie-
ben bis 12 Teilnehmern und idealerweise
einem Trainer und einer Trainerin. Über
eine Periode von fünf bis 14 Tagen trifft
man sich mehrmals am Tag zu T-Grup-
pensitzungen, die gewöhnlich eineinhalb
bis zwei Stunden dauern. Die ersten zwei
Tage des Trainings sind besonders lern-
wirksam, weil an ihnen die Gruppe Lern-
prozesse über das eigene Lernen voll-
zieht. Was charakteristisch für den Ablauf
eines Gruppendynamikseminars ist:
1 Die Kraft des wissenden
Schweigens.
Die Trainer halten sich in den Gruppensit-
zungen der ersten zwei Tage zurück, um
der Gruppe Raum für aktives Experimen-
tieren mit eigenem Verhalten zu bieten.
Sie beschränken ihre Beiträge in den T-
Gruppen auf einige wenige Bemerkungen
und konzentrieren sich auf die Kraft des
wissenden Schweigens. Die Teilnehmer
sind gewohnt, mit Wissen und Anweisun-
gen versorgt zu werden, und sind vorerst
erstaunt und ungehalten darüber, dass sie
Verantwortung für ihre eigenen Ziele und
ihr Verhalten und das, was sie lernen wol-
len, übernehmen sollen. Die Gewohnheit,
sich in der abhängigen Konsumentenrolle
zu befinden, lässt die Erwartung an eine
direkte Anweisung steigen. Doch begrei-
fen die Teilnehmer in den ersten Sitzun-
gen, dass sie von den Trainern keinerlei
Anweisung erhalten werden. Das ent-
standene Führungsvakuum bietet ihnen
nun die Möglichkeit, sich der eigenen
Verhaltensmuster und -masken bewusst
zu werden, die sie benutzen, um auf an-
dere und die Gruppendynamik Einfluss
zu nehmen. Das ist der erste Schritt, um
zielorientiert und angemessen soziales
Geschehen zu gestalten.
2 Am Anfang stehen
Passivität und Frustration.
Ihre Verunsicherung und ihr Unwohlsein
überspielen die Teilnehmer mit rationa-
len Argumenten oder zur Belustigung
beabsichtigten Kommentaren. Während
der ersten Sitzungen schweigen sie über-
wiegend und nutzen die kurzen Momente
der Aktivität, um über Nebensächliches
zu sprechen, ihre Unsicherheit zu über-
spielen. Sie suchen nach einer klar for-
mulierten Aufgabe. Ihre Aufmerksamkeit
auf das eigene Verhalten zu richten und
wie sie durch ihr Tun und Lassen ihre
Beziehungen und die Gruppendynamik
gestalten, erscheint ihnen vorerst kein
lohnendes Ziel zu sein. Der Mangel an
einer ihnen evidenten Struktur steigert
ihre Verunsicherung. Sie klammern sich
an alte Gewohnheiten und Strukturen,
die für die entstandene Gruppensituation
unpassend und nicht zielführend sind.
Einige kompensieren ihren Unwillen, die
bequeme Konsumentenrolle zu verlassen,
mit heftiger Kritik an den Trainern, an-
dere identifizieren sich unreflektiert mit
den vermeintlichen Zielen dieser und hof-
fen so auf Klarheit.
3 Von Reaktivität
zur Aktivität.
Nach einiger Zeit entschließen sich die
Abenteuerlustigen in der Gruppe, aktiv
zu werden. Sie probieren spielerisch Ak-
tivitäten aus, über die sie auch schmun-
zeln können. Sie interessieren sich dafür,
welchen Eindruck sie aufeinander ma-
chen und dienen einander als Spiegel. Ihr
Dr. Hans
Rosenkranz
Wir tschaftspäd­
agoge, Organisa­
tionspsychologe
und Familientherapeut, ist Gründer
und Gesellschafter des Teams Dr.
Rosenkranz GmbH. Er integriert Coa­
ching, Organisationsentwicklung,
gruppendynamisches Training, Psy­
chotherapie, Kunst und Sport zu
ganzheitlichem Energiemanagement.
Seine neuste Veröffentlichung „Wie
wir aus Stroh Gold machen können“
erscheint unter Epubli und im Eigen­
verlag.
Team Dr. Rosenkranz GmbH
Geschäftsführer: Dr. Patrick
Rosenkranz, Bettina Hebding
Bahnhofstraße 103
82166 Gräfelfing
Tel. 089 8549071
AUTOR
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