wirtschaft und weiterbildung 9/2015 - page 24

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wirtschaft + weiterbildung
09_2015
titelthema
„Weniger Selbsterfahrung, mehr soziale Kompetenz“
Wozu soll es gut sein, Führungskräfte in ein Gruppen-
dynamik-Training zu schicken?
Klaus Antons:
Gruppendynamiktrainings halte ich für die
beste Art, die soziale Wahrnehmungsfähigkeit zu trainieren.
Man wird viel sensibler für das, was in Gruppen abläuft und
kann diese Sensibilität dann nutzen, um eine bessere Füh-
rungskraft zu werden. Unternehmen, die sich immer weiter
in Richtung Hierarchieabbau bewegen, werden schneller
als andere einen zunehmenden Bedarf an Gruppendyna-
miktrainings spüren.
Müssen diese Trainings immer fünf Tage dauern?
Antons:
Das klassische gruppendynamische Training ist
eine Lernform, die man nicht verändern sollte. Man könnte
solch ein Seminar zur Not auch verkürzen, aber dann steigt
das Risiko, dass eine Gruppe ausgerechnet an einem
„unglücklichen“ Punkt ihr Ende findet und zu viele Eindrü-
cke und Emotionen nicht reflektiert werden können. Das
Training lebt vom Feedback, das sich die Teilnehmer unter-
einander geben. Und bis solche Feedbackprozesse eine
gewisse Tiefe erreichen, dauert es eben. Darum macht es
Sinn, auf den fünf Tagen zu bestehen. Nur so bekommen
die Teilnehmer ein tragfähiges Verständnis für die Arbeit in
und mit Gruppen.
Interview.
Dr. Klaus Antons, geboren 1942, ist einer der Pioniere der Gruppendynamik in
Deutschland. Bekannt wurde der Diplom-Psychologe, als er im Jahr 1973 das Standardwerk
„Praxis der Gruppendynamik – Übungen und Techniken“ veröffentlichte. Dieses Buch erscheint
inzwischen bei Hogrefe in Göttingen in der 9. Auflage.
Von Kritikern wird gerne bemängelt, dass in den
Gruppendynamikseminaren zu wenig am Transfer in
den Arbeitsalltag gearbeitet wird…
Antons:
Ein gruppendynamisches Training ist quasi gelebte
Aktionsforschung. Die Teilnehmer entwickeln sich zum
einen unter Mühen zu einem arbeitsfähigen Team und
zum zweiten sind sie Forscher in Bezug auf den Prozess,
der sich in ihrer eigenen Gruppe abspielt. Diese Lernchan-
cen, die sich dadurch ergeben, würde man zerstören, wenn
man sich phasenweise aus dem Gruppenprozess ausklinkt
und sich mit dem Transfer in die Arbeitswelt beschäftigt.
Nichts ist nützlicher für die Führungspraxis, als eine Woche
lang ganz und gar Teil einer sich entwickelnden Gruppe zu
sein. Ganz sicher sollten aber gegen Ende die Umsetzungs-
möglichkeiten erarbeitet werden – was bei professionell
geführten Trainings auch der Fall ist.
Hat sich die Motivation, ein Gruppendynamikseminar
zu besuchen, im Laufe der Jahre verändert?
Antons:
Das Interesse an gruppendynamischen Semi-
naren hat sich tatsächlich verlagert – vom Wunsch nach
Selbsterfahrung hin zum Erlernen sozialer Kompetenzen.
Führungskräfte wollen heutzutage in erster Linie lernen,
sich vertrauensvoll und zuversichtlich auf einen sozialen
Prozess einzulassen.
Thema „Selbsterfahrung“. Gibt es heute in den
Gruppendynamikseminaren noch Übungen, bei denen
die Gruppe gemeinsam entscheidet, wer aus ihr
ausgeschlossen wird?
Antons:
Ich denke, dass so etwas leider immer noch
gemacht wird. 1988 erschien ein Buch von Peter Sichrov-
ski mit dem Titel „Seelentraining“. Die Trainings, die er aus
seiner Praxis beschreibt, sind nichts als eine Serie solcher
Übungen, wo immer der „Schwächste“ rausgeworfen wird.
In meiner „Praxis der Gruppendynamik“ werden Sie keine
Übung dieses Typs „Einer fällt raus“ finden! Ich habe sie
ganz bewusst nicht aufgenommen, obwohl ich viele davon
kenne. Und für Teamentwicklung halte ich sie für völlig kon-
traindiziert. Denn sie fokussieren nur eine Minusvariante
von Gruppendynamik: den Ausschluss von Unliebsamem,
von Sündenböcken, schwarzen Schafen oder wie die Tiere
sonst heißen.
Interview: Martin Pichler
Monika Stützle-Hebel und Klaus Antons
während der
DGGO-Fachtagung „Feldkräfte“ im Juni 2015 in Berlin.
Foto: Pichler
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