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wirtschaft + weiterbildung
09_2015
Unternehmens für die Manager deut-
licher. Gruppendynamik könne in diesem
Zusammenhang auch unbequem wer-
den, weil sie Prozesse, die normalerweise
unter der Decke verliefen, offensichtlich
werden lasse.
Der Markt
Prof. Dr. Rudi Wimmer, Experte für Fami-
lienunternehmen an der Universität Wit-
ten/Herdecke und Gründer der OSB Wien
Consulting GmbH, hält Gruppendynamik
für eine kaum verzichtbare Qualifizierung
für Führungskräfte. Dr. Hellmut Santer,
bei der OSB verantwortlich für die Grup-
pendynamiktrainings, berichtet davon,
dass seit der Wirtschaftskrise 2008/2009
die Nachfrage nach Gruppendynamik-
seminaren langsam aber stetig ansteige.
„Gerade die Krise hat den Unternehmen
gezeigt, dass man bessere Entschei-
dungen trifft, wenn man die Weisheit
funktionsfähiger Teams nutzen kann“, so
Santer.
Wer hochkarätige Nachwuchskräfte in
Gruppendynamikseminare geschickt
habe, mache oft die Erfahrung, dass das
geradezu einen Wettbewerbsvorteil für
das Unternehmen bedeute, berichtet San-
ter. Er rechne trotzdem nicht mit einer
neuen Modewelle, meint der OSB-Ver-
treter auf die Frage nach der zukünftigen
Nachfrage nach Gruppendynamiksemi-
naren. Es werde in nächster Zeit wohl bei
einem leichten Wachstum bleiben. „Aber
wer die Gruppendynamik schätzen ge-
lernt hat, der investiert bereitwillig auch
größere Summen in seinen Führungs-
nachwuchs.“
Mit „größeren Summen“ muss man beim
Thema Gruppendynamik hauptsächlich
deshalb rechnen, weil das klassische
Gruppendynamik-Seminar zwingend fünf
Tage dauert und nur als offenes Seminar
in abgelegenen Tagungshotels angeboten
wird. Da in so einem Seminar geradezu
erwartet wird, dass der Einzelne etwas
von sich selbst preisgibt, ist es ausgespro-
chen sinnvoll, dass von einem Unterneh-
men immer nur ein Teilnehmer an dem-
selben Seminar teilnimmt (Stranger-Prin-
zip). In einem Gruppendynamikseminar
werden nicht nur Prozesse erlebt, es wird
auch über diese Prozesse und die damit
verbundenen Emotionen gesprochen –
zum Beispiel, indem die Akteure sich ge-
genseitig Feedback geben. Bis dabei die
nötige Offenheit erreicht ist, kann es eine
gewisse Zeit (zwei bis drei Tage) dauern.
Um dann das Seminar nicht abbrechen
zu müssen, wenn wichtige Feedbackpro-
zesse und mögliche Gruppenkrisen noch
nicht abgeschlossen sind, ist es die Regel,
dass Gruppendynamikseminare fünf Tage
dauern.
Das Setting
Gruppendynamische Trainings bestehen
aus 20 bis 40 Teilnehmern. Alle zusam-
men treffen sich eher selten zur Reflek-
tion und zum Informationsaustausch im
Plenum. Die meiste Zeit verbringen die
Teilnehmer in „ihrer“ Arbeitsgruppe, die
aus sieben bis 15 Leuten besteht und zu
der sie eingeteilt werden. Jede Gruppe
wird für die gesamte Dauer von ein bis
zwei nur für diese Gruppe zuständigen
Trainern begleitet. Diese „Trainings-
Gruppen“ (auch „T-Gruppen oder „Sen-
sitivity Training Groups“) bilden das
Kernelement des Gruppendynamischen
Trainings. Die Aufgabe der T-Gruppe –
zu Beginn handelt es sich um wildfremde
Menschen – besteht darin, zu einem ar-
04.
Performing:
Zusammenwach-
sen der Gruppe, Eintritt in die
eigentliche Arbeitsphase
05.
Adjourning:
Die Gruppe löst
sich auf, die Mitglieder
reflektieren ihre Erfahrungen
06.
Die Phasen
laufen selten linear
ab, Phasen können übersprun-
gen oder nachgeholt werden.
„Ich verstehe nicht, warum es nicht mehr
Unternehmen oder Hochschulen gibt, die
Gruppendynamikseminare zum Bestand-
teil ihrer Curricula machen“, sagt Prof.
Dr. Fritz B. Simon, einer der führenden
Systemiker Deutschlands und Mitbegrün-
der von Simon, Weber & Friends Syste-
mische Organisationsberatung GmbH in
Heidelberg.
„Heute, wo alle möglichen Leute über so-
ziale Kompetenzen reden, ist es einfach
unerklärlich, dass das wohl beste Instru-
ment, um die emotionalen und intellektu-
ellen Bedingungen für soziale Kompetenz
zu fördern, nur von wenigen Organisati-
onen genutzt wird.“ Außerdem biete die
Gruppendynamik ein ideales Lernsetting,
um über Beziehungen zu reflektieren und
die Wechselwirkung von Bauch und Hirn
bei der Entscheidungsfindung zu analy-
sieren.
„Unternehmen, die Gruppendynamikse-
minare durchführen, berichten, dass die
Teilnehmer anschließend viel besser mit
Unsicherheit umgehen konnten“, ergänzt
Roswita Königswieser, Gründerin von
Königswieser & Network in Wien. „Füh-
rungssituationen können besser eingeord-
net werden.“ So eine Art Krisenstabilität
sei schwer zu erreichen und gehe nur
über das Nadelöhr der persönlichen Rei-
fung, die ein Gruppendynamikseminar
mit Nachdruck anstoße.
„Unternehmen, die sich in Richtung De-
mokratisierung bewegen, werden schnel-
ler als andere den Bedarf an Gruppen
dynamiktrainings spüren“, sieht Dr. Mo-
nika Stützle-Hebel, Trainerin und Coach
aus Rosenheim, einen zusätzlichen Trend
heraufziehen, der für Gruppendynamik
spricht. So werde der Zusammenhang
zwischen den Prozessen in einer Gruppe
und den hierarchischen Strukturen eines
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