personalmagazin 3/2019 - page 48

Strategie & Führung
personalmagazin 03.19
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Fotos: HKP Group; Lufthansa
sondern zeitnah über gegenseitige Erwartungen, Arbeitsbedin-
gungen und vertragliche Dinge wie Vergütung sprechen.
Natürlich müssen die Kandidaten fachlich und menschlich
passen. Doch wer hier zu intensiv mit dem Kompetenzen- und
Kultursieb selektiert, wird meist verlieren. Gefragt ist eine gewis-
se pragmatische Großzügigkeit, sodass das Überprüfen von Soft
Skills und kulturellem Fit erst während der Probezeit im Fokus
steht. Wer nicht alle Kompetenzen bis ins Detail mitbringt, dafür
aber Potenzial, kann sich flexibel entwickeln. Schließlich weiß
auch niemand, wie sich Expertenrollen weiter verändern werden.
Und wer sich nicht völlig in die lange etablierten kulturellen
Werte einfügt, kann neue Impulse und Sichtweisen einbringen
– und auch darauf kommt es in agilen Zeiten an.
Ein Vorbild dafür sind zum Beispiel die unterschiedlichen
Trainee-Programme der Lufthansa Group. Gezielt gefördert wer-
den hier etwa auch Frame Breaker, welche die Lufthansa davon
überzeugen, dass sie etwas bewegen und verändern können.
Solche Mitarbeiter werden die Kultur des Unternehmens ver-
ändern, ob als Führungskräfte oder als Experten mit einem
innovativen Mindset und eigenem Kopf – und genau das wird
vom Vorstand auch gewünscht.
Die Kandidaten wählen lassen
Es geht also nicht „nur“ um das Recruiting, sondern auch um
die Entwicklung einer neuen Kultur durch frische Köpfe, um
Diversity durch unterschiedliche Charaktere und darum, Kan-
didaten als Persönlichkeiten ernst zu nehmen und ihnen auf
Augenhöhe zu begegnen.
Die Lufthansa Group stellt hier spannende Überlegungen an:
Experten sind nicht gleich Experten, Programmierer sind in der
Regel andere Typen als Flugmediziner oder Juristen. Interessierte
Kandidaten durchlaufen jedoch einen Matchingprozess, der auf
einheitlichen Methoden basiert und lediglich hinsichtlich der
jeweils relevanten Kriterien variiert werden kann. Daher wird
gerade diskutiert, ob Bewerber selbst entscheiden sollen, ob sie
lieber an einem Video Pitch, einem Assessment Center, einer
Case Study oder einem anderen Format teilnehmen möchten.
Programmierer hätten dann etwa die Möglichkeit, ihre Kompe-
tenz in einem Hackathon unter Beweis zu stellen und Juristen
könnten im Rahmen einer juristischen Fallstudie zeigen, was
sie können.
Doch neben all der Vorteile werden auch kritische Stimmen
laut, schließlich leidet bei einem solchen, sogenannten Cafete-
ria-Modell-Ansatz die Vergleichbarkeit, die dann nur innerhalb
der jeweiligen Expertengruppe gegeben wäre.
Anders rekrutieren
Unter dem Strich geht es also nicht nur darum, intensiver zu
rekrutieren, sondern auch anders – ohne dabei die Anforde-
rungen der Diagnostik aus dem Auge zu verlieren. Dabei sollten
Unternehmen einzelfallbezogen suchen und Experten dabei
als Key Accounts sehen, die analog zur Kundengewinnung im
B2B-Bereich idealerweise gezielt identifiziert und individuell
angesprochen werden; die Eignungsdiagnostik liefert dafür die
Instrumente und Themen. Dieser direkte Dialog läuft am bes-
ten, wenn sich Unternehmen generell ein image-starkes Profil
als Expertenorganisation geben und eine entsprechende Kultur
leben. Das spricht sich herum.
Neben neuen Wegen spielt in der Lufthansa Group das klas-
sische Recruiting nach wie vor eine wichtige Rolle. Insgesamt
geht es jedoch um einen Perspektivenwechsel – weg von kom-
plexen Prozessen und hin zu den Menschen. Denn nur dann
können Unternehmen ausreichend Experten gewinnen, die er-
folgreich die gemeinsame Zukunft mitgestalten.
LAURA HOHMANN ist Senior Consultant
bei der HKP Group. Dort begleitet sie
Unternehmen bei der Konzeption von
HR-Systemen entlang des Employee
Lifecycles.
DR. TOBIAS BARTHOLOMÉ ist Head of
Recruiting & Sourcing bei der Lufthansa
Group.
FRANK GIERSCHMANN ist Partner bei
der HKP Group. Er berät Konzerne und
Mittelständler zu allen Aspekten des
Talent- und Performance Managements.
Die Lufthansa fördert
gezielt „Frame
Braker“. Denn sie
können die Kultur
des Unternehmens
verändern – als
Führungkräfte oder
als Experten mit
eigenem Kopf.
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