personalmagazin 2/2018 - page 39

39
02/18 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
den, um sich als Blogger einen Namen
zu machen, den Besuch von Entwickler-
kongressen in den USA bezahlt zu be-
kommen, eine Auszeit für die Teilnahme
an sozialen Projekten zu erhalten oder
als Coach für den Nachwuchs eingesetzt
zu werden.
Selbstverwirklichung als Karriereziel
Diese Abneigung gegenüber einer klas-
sischen Karriere mit Führungs- und
Budgetverantwortung gibt es nicht nur
bei introvertierten Softwareentwick-
lern. Sie sei geradezu ein Merkmal der
sogenannten „Generation Y“, der zwi-
schen 1984 und 1994 geborenen Bun-
desbürger. Das schreibt der Berater An-
ders Parment in seinem aktuellen Buch
„Die Generation Y – Mitarbeiter der Zu-
kunft motivieren, integrieren, führen“.
Ein Kennzeichen der Youngster sei es
demnach, dass es beim Thema Karriere
oft zuerst um die „Selbstverwirklichung
des Einzelnen“ gehe: Befragt danach,
was ein potenzieller Arbeitgeber unbe-
dingt bieten müsse, sagten im Jahr 2013
Vertreter der Generation Y laut Parment
an erster Stelle „interessante Arbeitsin-
halte bieten“ (79 Prozent). Die Möglich-
keit, schnell Karriere zu machen, wurde
dagegen nur von 16 Prozent unbedingt
gefordert. Die Generation Y scheint sich
nicht hocharbeiten zu wollen.
Gleichberechtigung statt Hierarchie?
Von dieser Einstellung profitieren jene
Unternehmen, die sich selbst als agil
bezeichnen. Agiles Management gilt in
vielen Branchen als Zauberformel, um
schneller und innovativer auf sich ver-
ändernde Kundenwünsche eingehen zu
können. Agilität entsteht in erster Linie
dadurch, dass Hierarchien abgebaut
werden. Und wo ein oder zwei Hierar-
chiestufen wegfallen, da ist man froh,
wenn der Nachwuchs von sich aus kei-
nen Wert auf eine Beförderung zur Füh-
rungskraft legt. In agilen Unternehmen
geben Führungskräfte sehr viel Ver-
antwortung an die Mitarbeiter ab. Die
arbeiten fernab jeder Kontrolle und Bü-
rokratie in kleinen, schnellen, flexiblen,
sich selbst steuernden und am Kunden
ausgerichteten Teams. Viele Mitarbeiter
erleben so ein selbstbestimmtes, sinn-
volles Arbeiten, das in den klassischen
Leiterkarrieren, die einen stetigen Auf-
stieg voraussetzen, nicht möglich wäre.
Im Idealfall sind alle Teammitglieder
gleichberechtigt, diskutieren auf Augen-
höhe und finden auch bei schwierigen
Entscheidungen einen Konsens. Visiten-
karten und erst recht alle Jobtitel sind
abgeschafft. Alle streben vor allem da-
nach, sich fachlich weiterzuentwickeln.
Als ein typisch agiles Unternehmen
gilt zum Beispiel die Epages GmbH in
Hamburg, ein Software- und Dienst-
leistungsunternehmen, das mit seinen
Produkten E-Commerce ermöglicht. Ne-
ben Wilfried Beeck, dem Gründer, und
einem zehnköpfigen Führungsteam ar-
beiten bei Epages 180 gleichberechtigte
Mitarbeiter.
„Head of Irgendetwas“ bleibt ein Ziel
André Häusling, Geschäftsführer der
Beratung HR Pioneers GmbH in Köln,
macht allerdings zu Recht darauf auf-
merksam, dass man die Generation Y
nicht über einen Kamm scheren darf.
Nach ein paar Jahren Berufserfahrung
sei es schwierig, gute Mitarbeiter ohne
Beförderung bei der Stange zu halten.
Auch in agilen Organisationen gäbe es
immer einige junge Menschen, die ger-
ne „Head of Irgendetwas“ wären.
In der Befragung von Anders Parment
sagten immerhin 60 Prozent der Inter-
viewten, dass für sie eine Karriere schon
wichtig, wenn auch nicht unbedingt er-
forderlich sei. Nur 25 Prozent sagten, ei-
ne Karriere sei überhaupt nicht wichtig.
Da agile Organisationen so gut wie kei-
ne hierarchischen Führungspositionen
anbieten könnten, schlägt André Häus-
ling vor, auf „andere Möglichkeiten der
Aufwertung“ auszuweichen. Schließlich
gehe es im Business nur vordergründig
um das Thema Karriere. In Wahrheit
wollten die Menschen erleben, dass ihr
Arbeitgeber ihnen ehrliche, aber nicht
unbedingt materielle Wertschätzung
entgegenbringe.
Anreize in agilen Unternehmen
In Software-Entwicklungsteams hat
man versucht, Leistung mit neuen Titeln
zu belohnen. Es gab plötzlich Junior-
Entwickler und Senior-Entwickler sowie
Experten und Top-Experten. Diese Ti-
tel, die formal keine Bedeutung hatten,
wurden trotzdem als eine Art von hie-
rarchischer Abstufung wahrgenommen,
was sich sofort negativ auf die Fähigkeit
zur Selbstorganisation auswirkte. Als
sinnvoller Karriereersatz gelten in der
aktuellen Diskussion folgende Angebote
eines Arbeitgebers:
• individuelle Weiterbildungsmaßnahmen
• kontinuierliches externes Coaching,
ohne Einfluss des Arbeitgebers auf die
Coaching-Ziele
• immer modernste technische Ausstat-
tung des Arbeitsplatzes
• Finanzierung von Freizeitaktivitäten
• bezahlte Auszeiten für soziale Projekte
• mehrere Arbeitstage pro Woche im
Homeoffice
• Vier-Tage-Woche
• so viel Urlaub wie gewünscht
Die Personaler sind gefragt
Die Personaler agiler Unternehmen zer-
brechen sich laut Häusling seit gerau-
mer Zeit die Köpfe darüber, wie ein ge-
rechtes Verfahren aussehen könnte, mit
dem Belohnungen festgelegt werden.
Neben der Verfahrensgerechtigkeit ma-
chen sie sich auch noch Sorgen über die
Verteilungsgerechtigkeit. In der Regel
werden individuelle Belohnungen mit
dem direkten Vorgesetzten ausgehan-
Bisher haben die Unter-
nehmen kein Konzept
für eine agile Karriere
gefunden. Als Karriere-
ersatz sollen Weiterbil-
dungen, Auszeiten und
Homeoffice herhalten.
1...,29,30,31,32,33,34,35,36,37,38 40,41,42,43,44,45,46,47,48,49,...76
Powered by FlippingBook