personalmagazin 9/2017 - page 17

17
09/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Das Interview führte
Reiner Straub.
modell noch gut funktioniert? Die Imple-
mentierung von Agilität ist ein komple-
xes Unterfangen. Möglicherweise scheut
man diese anspruchsvolle Aufgabe.
personalmagazin:
Unternehmen tun sich
schwer mit der Einführung agiler Prozes-
se. Was sind die größten Hürden?
Rotzinger:
Die Implementierung von Agili-
tät ist ein langfristiger Prozess. Das wird
häufig unterschätzt. Mit der Einführung
von agilen Methoden muss ein kultu-
reller Wandel einhergehen, verbunden
mit einer grundlegenden Änderung von
individuellen Haltungen: Sowohl Top-
down-Abgabe von Macht als auch Mut
zur Verantwortungsübernahme durch
die Mitarbeiter. Viele Unternehmen be-
rücksichtigen dies nicht und vergessen,
Mitarbeiter aller Hierarchieebenen früh-
zeitig in den Veränderungsprozess mit-
einzubeziehen. Mitarbeiter möchten nur
ungern von anderen verändert werden,
sondern diesen Prozess selbst aktiv mit-
gestalten. Wird dies versäumt, tendieren
sie dazu, am Status quo festzuhalten.
Anderson:
Die größte Hürde ist die Füh-
rung, immer wieder die Führung. Die
Studie zeigt ganz eindeutig, dass das
klassische hierarchische Führungsmo-
dell dominant bleibt. Es wird zwar gerne
von einem neuen Führungsverständnis
geredet und ordentlich in das Thema in-
vestiert, einen echten Aufbruch erleben
wir hier aber nicht. Dabei ist offensicht-
lich, dass hier der stärkste Hebel für
Veränderungsfähigkeit liegt. Nur wenn
es gelingt, das Prinzip der Subsidiarität
in der Organisation zu verankern, wird
das ganze Konstrukt agiler. Dann wer-
den Entscheidungen da gefällt, wo sie
hingehören – auf der niedrigsten Ebene
und damit nah am Kunden.
personalmagazin:
Wenn ein HR-Chef oder
CEO sein Unternehmen agiler machen
will, womit sollte er anfangen?
Anderson:
Mit sich selbst. Wie alle großen
Veränderungen startet auch dieses The-
ma an der Spitze. Wenn die Führungs-
mannschaft Agilität in das Zentrum ih-
rer Strategie und damit zum zentralen
Ziel für die Organisation macht, ist das
auch ihr zentrales persönliches Ziel.
Wir sind doch nur glaubwürdig in dem
Thema, wenn wir bei uns anfangen.
Rotzinger:
Da stimme ich voll zu und möch-
te inhaltlich ergänzen: Agile Projekte be-
ginnen mit der Definition und Bewertung
der unternehmerischen Herausforderun-
gen. Dann folgt die Erarbeitung einer Vi-
sion und Mission für das Unternehmen
– gemeinsam mit den Mitarbeitern. Für
eine erfolgreiche Verhaltens- und Kul-
turänderung müssen drei Dimensionen
zusammenspielen: ein neues Organisa-
tionsdesign, entsprechendes Mitarbeiter-
Enablement und durch Technologie un-
terstützte, schlanke Prozesse.
personalmagazin:
Viele Mitarbeiter emp-
finden den technologischen Wandel als
eine Belastung – so ein Studienergebnis.
Was ist der beste Weg, um Menschen für
Veränderungen zu gewinnen?
Anderson:
Wir müssen den Menschen
die Unvermeidbarkeit von Verände-
rung nahebringen, ihnen das große
Bild erklären und den Bezug zur eige-
nen Rolle herstellen – verbunden mit
der Frage: Willst Du die Veränderung
geschehen lassen oder willst Du sie
gestalten? Wenn es gelingt, ein gemein-
sames Zielbild und Wege dahin mit der
Mannschaft zu entwickeln, können wir
Sinnhaftigkeit in die Organisation brin-
gen. Das geht nur über Dialog und ge-
meinsame Arbeit. Auf der Strecke wird
es Fehlschläge und Erfolge geben. Über
die Fehlschläge zu reden und die Erfolge
zu feiern ist ein guter Ansatz, Köpfe und
Herzen zu gewinnen.
Rotzinger:
Oft hilft es außerdem, zunächst
mit einer kleinen, bereitwilligen Gruppe
voranzugehen. Dieser Ansatz – „Roll in“
statt „Roll out“ – erzeugt eine Sogwir-
kung: Sehen die anderen Mitarbeiter,
dass die Gruppe erfolgreich ist, werden
sie schnell nachziehen wollen.
personalmagazin:
Führungskräfte über-
schätzen ihren Einfluss, immer mehr Mit-
arbeiter widersetzen sich ihren Vorgaben.
Welche Folgen hat das für den Erfolg von
Veränderungsprojekten?
Anderson:
Es wundert mich nicht, dass
sich die Führungskräfte selbst über-
schätzen. Das ist, wie wenn sie Autofah-
rer nach ihren Fahrkünsten befragen:
Es gibt keine Zweifel an den eigenen Fä-
higkeiten. Passiver Widerstand ist eine
normale Reaktion in Veränderungspro-
zessen – was wir gerne als „Bending“
bezeichnen. Diesen Widerstand können
wir nur mit dem richtigen Führungs-
verständnis und einem Konsequenzen-
management aufbrechen. Gerade bei
Führungskräften ist Veränderung häu-
fig nicht eine Frage der Qualifikation,
sondern eine Frage des Wollens.
Rotzinger:
Im schlimmsten Fall scheitert
ein Veränderungsprojekt, weil die Mit-
arbeiter, egal welcher Hierarchiestufe,
es nicht mittragen. Alle betroffenen
Mitarbeiter sollten möglichst frühzeitig
in den Veränderungsprozess involviert
werden und diesen aktiv mitgestalten.
Ihre Meinung sollte nicht nur Gehör
finden, sie sollten selbst zu Führungs-
kräften in Veränderungsprozessen wer-
den. Die Basis hierfür ist neben der Lei-
denschaft für den Wandel die von allen
gelebte Bereitschaft, Fehler zuzulassen
und aus ihnen rasch zu lernen.
JOACHIM ROTZINGER
ist Geschäftsführer
in der Haufe Gruppe und Mitglied des Ver-
waltungsrats der Haufe-Umantis AG.
1...,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16 18,19,20,21,22,23,24,25,26,27,...92
Powered by FlippingBook