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ESSENTIALS
_REZENSIONEN
PERSONALquarterly 03/18
S
elbst namhafte Managementforscher, die mit diesen
Spielregeln „groß geworden“ sind, haben in den ver-
gangenen Jahren auf problematische Anforderungen
für die Publikation von Artikeln in Managementfach-
zeitschriften aufmerksam gemacht. Eine zentrale Kritik: Die
Anforderungen fördern praktisch wenig relevante Forschung.
Im Mittelpunkt der Debatte steht der Zusammenhang zwi-
schen methodischer Stringenz und Praxisrelevanz. Für die
einen schließen sich diese Faktoren wechselseitig aus, für die
anderen sind sie miteinander kompatibel oder ergänzen sich
sogar in ihrer Wirkung auf den Einfluss eines Artikels auf
die Forschung. Bisherige Studien zu diesem Zusammenhang
krankten daran, dass die Relevanz von Fachzeitschriftenarti-
keln durch Wissenschaftler oder wissenschaftsnahe Praktiker
eingeschätzt wurde. Stattdessen haben Paterson und Kollegen
nun eine für die USA repräsentative Stichprobe von Mana-
gern genutzt. Die Befunde von knapp 100 Meta-Analysen im
Bereich HR/Organisationspsychologie wurden in prägnanten
Einzeilern zusammengefasst und von den befragten Managern
hinsichtlich ihrer Relevanz für die eigene Arbeit beurteilt.
(Meta-Analysen fassen Primärstudien zu einem bestimmten
Zusammenhang statistisch zusammen). Die methodische
Stringenz wurde an Kriterien festgemacht (u.a. der Effektstär-
ke des untersuchten Zusammenhangs), die reflektieren, wie
viel Gewicht man den Ergebnissen aus methodischer Sicht in
der Praxis beimessen sollte. Die zentrale Erkenntnis: Die An-
zahl der Zitationen (als Indikator des Einflusses eines Artikels
auf die Forschung) hängt nicht von der so gemessenen metho-
dischen Stringenz, wohl aber von der Relevanz der Befunde aus
Sicht der Manager ab. Dies zeigt, dass Praktiker und Forscher
zumindest bei Meta-Analysen die Relevanz von Befunden ähn-
lich beurteilen. Die Autoren bekennen jedoch, dass sich die im
Durchschnitt recht hoch bewertete Relevanz der Befunde zum
Teil auf die sorgfältig auf die Zielgruppe abgestimmte Präsen-
tationsform zurückführen lässt. Dies unterstreicht die Rolle
von Zeitschriften, die dazu beitragen, dass praxisrelevante For-
schungsbefunde auch Praktiker erreichen.
Besprochen von
Benjamin P. Krebs
, Lehrstuhl International
Business, Universität Paderborn
Methodische Stringenz
vs. praktische Relevanz
Ted A. Paterson
(Oregon State University),
P. D. Harms
(Universi-
ty of Alabama, Tuscaloosa) &
Christopher S. Struggle
(University
of Nebraska, Lincoln): Revisiting the rigor-relevance relationship:
An institutional logics perspective. Human Resource Manage-
ment, 2018, pp. 1-13.
E
s ist ein typisches Phänomen, dass sich in Gruppen
hierarchische Führungsstrukturen ausbilden. Aus
evolutionspsychologischer Sicht ist eine Unterschei-
dung in „Führer“ (Leader) und „Geführte“ wichtig,
um soziale Koordinationsherausforderungen zu meistern. Wer
als sogenannter „Emergent Leader“ aus einer Gruppe hervor-
geht, wurde bisher vor allem mit Persönlichkeitseigenschaften
begründet. Wenig Forschung richtete sich auf die Rolle der
Geführten und wie sie Führungssignale aufnehmen. Gerpott
und Kollegen untersuchten, ob sich Emergent Leader dadurch
auszeichnen, dass ihnen vermehrt visuelle Aufmerksamkeit
geschenkt wird. Sie argumentieren, dass Individuen einen
schnellen, automatisierten Mechanismus zur Erkennung von
Führungssignalen bei ihren Mitmenschen besitzen. Dies habe
zur Folge, dass Emergent Leader verstärkt fixiert werden.
Zur Überprüfung ihrer Annahme zeichneten die Autoren
Meetings von 42 Projektteams auf Video auf. In keinem Team
gab es formal eine Führungskraft. Anschließende Führungs-
ratings von den Teammitgliedern selbst und externen Men-
toren dienten zur Identifizierung des Emergent Leaders. In
sieben Teams kristallisierte sich ein eindeutiger Emergent
Leader heraus. Aus den Aufnahmen dieser Teams wurden im
nächsten Schritt 42 Videosequenzen herausgegriffen. In einer
experimentellen Laborstudie wurden diese Videosequenzen
ohne Ton 18 Probanden präsentiert. Mittels Eye-Tracking
wurde das Blickverhalten der Probanden erfasst. Zusätzlich
wurde das nonverbale Verhalten der Teammitglieder ausge-
wertet. Es zeigte sich, dass Emergent Leader häufiger und für
eine längere Dauer fixiert wurden als ihre Teammitglieder.
Zusätzlich traten geschlechtsspezifische Effekte auf: männ-
liche im Vergleich zu weiblichen Emergent Leadern erhielten
eine höhere Anzahl an Fixierungen. Die Auswertung des non-
verbalen Verhaltens zeigte außerdem, dass Emergent Leader
mehr aktive Gesten und weniger passive Gesichtsausdrücke
aufwiesen. Diese erhöhte nonverbale Expressivität kann als
ein Erklärungsgrund dienen, weshalb Individuen zu Emergent
Leader werden.
Besprochen von
Dr. Annika L. Meinecke
, Lehrstuhl für Arbeits-,
Organisations- und Sozialpsychologie, Universität Hamburg
Führung im Auge des
Betrachters
F. H. Gerpott
(Vrije Universiteit Amsterdam),
N. Lehmann-Willen-
brock
(Universität Hamburg),
J. D. Silvis
(Vrije Universiteit Amster-
dam), &
M. Van Vugt
(Vrije Universiteit Amsterdam): In the eye of
the beholder? An eye-tracking experiment on emergent leadership
in team interactions. The Leadership Quarterly, 2018, pp. 1-10.