 
          PERSONALquarterly  03/18
        
        
          54
        
        
          
            SERVICE
          
        
        
          _EVIDENZ ÜBER DEN TELLERRAND
        
        
          D
        
        
          ie Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wer
        
        
          den von den Medien gerne als Fieberkurve unserer
        
        
          Gesellschaft genutzt. Das Sinken oder der Anstieg der
        
        
          Zahlen zum Einbruch oder zur Gewalt werden oft als
        
        
          Beleg für eine gesunde oder kranke Entwicklung bewertet. Was
        
        
          in der Aufregung übersehen wird: Die Kriminalstatistik ist zu
        
        
          nächst einmal ein Arbeitsnachweis der Polizei. Wenn beispiels
        
        
          weise die Fallzahlen zur Nutzung einer gefährlichen Droge bei
        
        
          Jugendlichen deutlich ansteigen, ist das noch nicht der Beweis
        
        
          für eine dramatische Entwicklung. Die Zunahme kann schlicht
        
        
          die Folge davon sein, dass die Polizei ihre entsprechenden Kon
        
        
          trollen in der Jugendszene drastisch erhöht hat.
        
        
          Ein weiterer Aspekt, der die Aussagekraft der polizeilichen
        
        
          Zahlen stark beeinflusst, ist die Anzeigebereitschaft der Op
        
        
          fer. In einem Dorf, wo die Menschen in den eng gestrickten
        
        
          sozialen Netzwerken ihre Konflikte häufig informell regeln,
        
        
          fällt sie deutlich niedriger aus als in der Anonymität der Groß
        
        
          stadt. Je fremder der Täter ist, umso wahrscheinlicher wird er
        
        
          der Polizei gemeldet. Repräsentative Opferbefragungen von
        
        
          Jugendlichen belegen das. Wird Max von Moritz tätlich an
        
        
          gegriffen, liegt die Anzeigequote bei 13 Prozent. Handelt es
        
        
          sich bei dem Täter aber um den türkischen Mehmet steigt die
        
        
          Quote auf 27 Prozent. Eine Gewalttat zwischen Mehmet und
        
        
          Mustafa wird der Polizei nur zu zehn Prozent bekannt. Wird
        
        
          aber Mustafa vom russischen Igor angegriffen, steigt die Quote
        
        
          auf 28 Prozent. Die Sichtbarkeit von Kriminalität ist also auch
        
        
          vom Grad der gefühlten Fremdheit des Täters abhängig. Was
        
        
          für Jugendliche gilt, gilt aber auch für Erwachsene: Der eigene
        
        
          Ehemann wird seltener angezeigt als der fremde Sittenstrolch,
        
        
          der Preuße vom Bayern eher als „unter Bayern“ und der eigene
        
        
          Chef seltener als der entfernte Bekannte. Diese Beobachtung
        
        
          relativiert nicht die Taten, aber den Wert der Statistiken. Der
        
        
          starke Anstieg der Gewaltkriminalität, der 2016 als Folge der
        
        
          Zuwanderung von Flüchtlingen registriert wurde, hängt al
        
        
          so auch damit zusammen, dass deren Gewalttaten der Polizei
        
        
          etwa doppelt so oft bekannt wurden wie die anderer Bevölke
        
        
          rungsgruppen.
        
        
          Trotz all dieser Einschränkungen ist die PKS ein wichtiges
        
        
          Messinstrument zur Entwicklung der Kriminalität. Je schwerer
        
        
          die Straftaten sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit,
        
        
          dass sie der Polizei bekannt und verlässlich aufgeklärt werden.
        
        
          Bei Mord ermittelt die Polizei beispielsweise zu etwa 95 Pro
        
        
          zent tatverdächtige Personen. Außerdem gibt es noch weitere
        
        
          Informationsquellen zur Entwicklung der Kriminalität. Das
        
        
          ist beispielsweise die Strafverfolgungsstatistik, mit der erfasst
        
        
          wird, wie viele Verurteilungen es im Hinblick auf die verschie
        
        
          denen Straftaten pro Jahr gibt. Ihre Daten belegen noch deut
        
        
          licher als die PKS, dass die Gewaltkriminalität in Deutschland
        
        
          in den letzten zehn Jahren deutlich abgenommen hat.
        
        
          Ein entsprechender Trend zeigt sich im Hinblick auf die
        
        
          schwere, körperliche Gewalt an Schulen. Wenn dort nämlich
        
        
          nach einer Rauferei ein Arzt bemüht werden muss oder gar
        
        
          ein Krankenhaustransport erforderlich wird, entsteht eine
        
        
          Rechnung, die nicht die Krankenkasse, sondern der Deutsche
        
        
          Versicherungsverband bezahlt. Er ermittelt mit großer Sorg
        
        
          falt, wie viele schwere Gewaltvorfälle es pro 10.000 Schüler
        
        
          und Jahr gibt. Daher wissen wir, dass die körperliche Gewalt
        
        
          an Schulen, soweit eine ambulante Arztversorgung ausreichte,
        
        
          seit 1997 um 44 Prozent abgenommen hat. Die Fälle mit kran
        
        
          kenhausreif geschlagenen Schülern sind sogar um 62 Prozent
        
        
          gesunken.
        
        
          
            Hohe Aufklärungsquoten schrecken Täter ab
          
        
        
          Beachtung verdient ferner, was sich im Vergleich der Bun
        
        
          desländer zeigt, wenn man die polizeilichen Kriminalitätsda
        
        
          ten vergleicht. Je besser die Polizei personell und technisch
        
        
          ausgestattet ist, umso höher fällt für die Täter das Risiko aus,
        
        
          dass sie erwischt werden. Hiervon hängt ganz wesentlich die
        
        
          Abschreckungswirkung der Strafverfolgung ab. Im Vergleich
        
        
          der Bundesländer zeigen sich beachtliche Unterschiede. Bay
        
        
          ern und das benachbarte Baden-Württemberg schneiden hier
        
        
          besonders gut ab. Hohe Aufklärungsquoten gehen einher
        
        
          mit einer deutlich niedrigeren Kriminalitätsbelastung. Die
        
        
          im Vergleich dazu weniger gut ausgestattete Polizei mancher
        
        
          nördlicher Bundesländer ist in Versuchung geraten, zusätz
        
        
          liche Planstellen dadurch zu erreichen, dass sie ihren Defi
        
        
          nitionsspielraum, wie Straftaten erfasst werden, großzügig
        
        
          auslegt. Gestützt auf erhöhte Deliktzahlen wollte man von der
        
        
          Politik die dringend benötigten Planstellen bewilligt bekom
        
        
          men. Auch wenn sie damit kaum Erfolg erreichte, hat nun die
        
        
          Bedrohung durch den Terror bewirkt, dass sich die Personal
        
        
          ausstattung der Polizei generell verbessert hat und sich die
        
        
          Rahmenbedingungen der Erfassung von Kriminalität etwas
        
        
          angleichen konnten.
        
        
          Vorsicht beim Vergleich
        
        
          
            Prof. Dr. Christian Pfeiffer,
          
        
        
          Jurist, langjähriger Direktor des KFN – Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen in Hannover