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_DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE
PERSONALquarterly 03/18
S
chon frühmorgens ging die FAZ am2. Februarmit einer
gnadenlos sachlichen Überschrift in Vorlage: „Digitali-
sierung zerstört 3,4 Millionen Stellen.“ Und rechnete
diese Zahl in der Dachzeile des Online-Artikels gleich
griffig um: „Jeder Zehnte bald arbeitslos.“ Besonders brisant
war die Quelle: eine Studie von Bitkom, dem Bundesverband
Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien,
der 2.500 Unternehmen vertritt und von Haus aus technolo-
gischen Fortschritt in der Welt 4.0 eher begrüßt. Schon fünf
Stunden später legte denn auch die Zeit nach: „Studie sieht
Millionen Jobs durch Digitalisierung gefährdet.“ So titelte die
Online-Redaktion und nahm im Vorspann im Vergleich zur
FAZ einen neuen Aspekt auf: „Auch Firmen sehen sich in ihrer
Existenz bedroht.“
Doch Bitkom gab am gleichen Tag eine eigene Pressemel-
dung zu der Studie heraus, die aus dem November 2017
stammt. Denn bei den 3,4 Millionen Jobs handelt es sich um
eine Hochrechnung. Basis war eine Befragung von rund 500
Unternehmen ab 20 Mitarbeitern. Die Geschäftsführer und
Vorstände hatten die Frage nach der Existenzbedrohung ihrer
Unternehmen durch die Digitalisierung zu einem Viertel mit
„trifft voll und ganz zu“ und mit „trifft eher zu“ beantwortet.
Nach Unternehmensgröße wurde die Anzahl der sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigten aus der amtlichen Statistik
ermittelt und mit dem jeweiligen Anteil der Firmen multipli-
ziert. So kam es zu der alarmierenden Zahl, die nicht berück-
sichtigt, dass auch Arbeitsplätze entstehen – was Zeit und FAZ
erst in späteren Artikeln diskutierten.
Befragungswellen der nächsten Jahre bringen Seriosität
Klar ist: Befragungen wie die von Bitkom über den möglichen
Jobabbau durch die Digitalisierung messen momentan Mei-
nung. „Für die Auswirkung künstlicher Intelligenz und andere
Digitalisierungstechnologien auf die Arbeitsplatzentwicklung
fehlen noch die Daten“, sagt Jens Südekum. „Es sind viele Pro-
pheten unterwegs, aber als Wissenschaftler sollte man nicht
spekulieren, sondern die Realität darstellen.“ Der Professor
für Volkswirtschaftslehre am Düsseldorfer Institut für Wett-
bewerbsökonomie (DICE) der Heinrich-Heine Universität sieht
das Thema Digitalisierung seriös erst in den Befragungswellen
Die Digitalisierung wird zu einem Strukturwandel führen. Zur quantitativen Wirkung
gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Nicht alle sind seriös abgeleitet.
Spekulationen schüren unnötige Ängste
der nächsten Jahre kommen. Auch deshalb hat er sich jetzt
auf den Einfluss von Industrierobotern auf den deutschen Ar-
beitsmarkt im Zeitraum zwischen 1994 und 2014 konzentriert.
Erfasst wurden die Daten von einer Millionen Beschäftigten im
gewerblichen Bereich.
Die These, dass Roboter zu Massenarbeitslosigkeit führen,
hat sich in seiner Untersuchung nicht bestätigt. Das liegt auch
daran, dass die Entscheidung, ob Mensch oder Maschine eine
Arbeit erledigen, keine technologische sondern eine ökono-
mische ist. Und: Es verändern sich Tätigkeitsmerkmale, nicht
die Anzahl von Jobs in der Gesamtwirtschaft. Statistisch führte
die Installation von 131.000 zusätzlichen Robotern zu einem
Rückgang von 275.000 Vollzeitstellen. Doch diese wurden
durch Arbeitsplatzgewinne außerhalb des verarbeitenden Ge-
werbes vollständig ausgeglichen. Der Einsatz von Robotern
beschleunigt also den Strukturwandel – und er erhöht die Ein-
kommensungleichheit. Selbst wenn Produktivität und Unter-
nehmensgewinne durch den Einsatz von Robotern gestiegen
sind, wurden nämlich die Durchschnittslöhne nicht erhöht.
Zu beobachten ist eine Spreizung zwischen wenigen hoch
qualifizierten Beschäftigten, die von der technischen Entwick-
lung profitieren, und der breiten Mehrheit der Facharbeiter
im mittleren Qualifikationsspektrum, deren Entgelt nicht ent-
sprechend steigt, sondern sogar eher sinkt. Südekum zieht den
Schluss: „In Deutschland ist die Veränderung weniger disrup-
tiv als etwa in den USA, denn hier ist der Joberhalt wichtiger
als die Lohnerhöhung.“ Tarifverträge erlauben Abweichungen
nach unten, Firmen schulen um, Arbeitnehmer übernehmen
neue Tätigkeiten, Arbeitsplätze verändern sich und Neuein-
steiger gehen in andere Berufe. „Spekulationen vergiften die
Debatte und schüren unnötig Ängste.“
Umschulung und Weiterbildung: eine Aufgabe für alle
Dieser Ansicht ist auch Gerd Zika. „Es wird eine enorme Struk-
turveränderung geben, aber Schwarzmalerei hilft nicht“, sagt
Gerd Zika und wird sofort konkret: „Umschulung und Wei-
terbildung sind wichtig und eine Aufgabe für alle.“ Und auch
in der Erstausbildung gibt es in den Augen des promovierten
Volkswirts und Statistikers viel zu tun, zumal die Berufswün-
sche Jugendlicher mitunter nicht kompatibel seien mit dem,
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg