PERSONALquarterly 1/2016 - page 8

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SCHWERPUNKT
_INTERVIEW
PERSONALquarterly 01/16
richtungen gut mit Unternehmen und anderen Forschungsein-
richtungen im In- und Ausland vernetzt sind. Länder wie Japan,
deren Innovationsfähigkeit seit Jahren stagniert, weisen hier
erhebliche Defizite auf. Deutschland ist recht gut aufgestellt
und weist einen hohen Anteil unternehmensfinanzierter For-
schung und Entwicklung an Hochschulen auf. Die Innovations-
politik der letzten Jahre hatte unter anderem genau an dieser
Stelle angesetzt und die Kooperation zwischen Wissenschaft
und Wirtschaft unterstützt.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der Wissenstransfer
zwischen Forschung und Industrie in Deutschland sehr gut
funktioniert. Vor allem in den deutschen Kernbranchen wie
Automobilindustrie und Maschinenbau bestehen viele gewach-
sene Netzwerke und enge Kooperationen zwischen Wissen-
schaft und Forschung. Allerdings bleibt abzuwarten, ob und
wie sich diese im Rahmen von Industrie 4.0 bewähren. Wichtig
wird vor allem sein, inwiefern sich diese Plattformen gegen-
über neuen Akteuren aus fremden Branchen wie zum Beispiel
dem IT-Sektor und auch gegenüber Internetkonzernen öffnen
und neue Strukturen und Prozesse etablieren können. Aktuell
ist der Wissenstransfer bei Industrie 4.0 noch stark technolo-
giegetrieben. Im Fokus steht die technische Machbarkeit. Für
eine Diffusion von Industrie 4.0 in der Breite der deutschen
Industrie, vor allem in KMU und im Mittelstand, wird es je-
doch wichtig sein, die Wissenstransferangebote stärker auf
mögliche Anwendungspotenziale auszurichten.
PERSONALquarterly:
Welche Rolle spielen Hochschul- und betrieb-
liche Ausbildung sowie Weiterbildung für Innovationen bei
Industrie und Dienstleistung 4.0?
Marion A. Weissenberger-Eibl:
Digitalisierung der Gesellschaft im
Allgemeinen sowie Industrie 4.0 im Speziellen haben das Po-
tenzial, die Art und Weise, wie wir in Deutschland konsumie-
ren und produzieren, grundlegend zu verändern. Und damit
meine ich Veränderungen, welche alle Gesellschaftsbereiche
betreffen. Aufgrund dieser Reichweite ist davon auszugehen,
dass bestimmte bestehende Fertigkeiten und Kompetenzen
in Industrie und Dienstleistungen zukünftig noch wichtiger
werden. Gleichzeitig werden aber auch völlig neue Tätigkeits-
und Kompetenzprofile entstehen. Hierzu werden aktuell ei-
ne Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen angestellt. Die
veränderte Bedarfssituation muss durch die Hochschul- und
betriebliche Ausbildung adressiert werden. Die Ausbildung an
der Hochschule steht vor der Herausforderung, Personal für
Entwicklung, Management und Überwachung von Industrie
4.0-Systemen auszubilden und die betriebliche Ausbildung vor
allem auf die Schaffung weitergehender IT-Kompetenzen auf
Facharbeiterebene hin auszurichten.
PERSONALquarterly:
Sollte die Politik die rasanten Veränderungen
in der Arbeitswelt begleiten, die nach einem Technologieschub
nun einen Digitalisierungs- und Vernetzungsschub erlebt? Und
wenn ja, welche Unterstützung ist denkbar?
Marion A. Weissenberger-Eibl:
Meines Erachtens machen Digitali-
sierung und Industrie 4.0 als gesellschaftliche Herausforde-
rung das Handeln der Politik geradezu unabdingbar. Hierbei
gilt es, frühzeitig die damit verbundenen Chancen und Poten-
ziale, aber auch mögliche Risiken und Fehlentwicklungen zu
erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Nur so
können die erwarteten positiven Effekte auch eintreten. Wenn
Deutschland im internationalenWettbewerb eine Vorreiterrolle
in der Industrie 4.0 einnehmen und sich als Leitmarkt etablie-
ren will, dann wird es zudem wichtig sein, eine rasche Diffusi-
on von Industrie 4.0-Technologien in der Breite der Industrie,
das heißt bei Herstellern und bei Anwendern, zu erreichen.
Vor allem wird es wichtig sein, nicht nur bestehende Produk-
tionsverfahren durch Industrie 4.0 zu optimieren (mitunter
zu ersetzen), sondern auch neue Märkte, Geschäftsmodelle,
Produktionsverfahren und Wertschöpfungsprozesse sowie völ-
lig neuartige Produkte zu entwickeln, die bislang (noch) nicht
möglich waren. Nur dadurch kann aus Industrie 4.0 wirklich
neues und nachhaltiges Wachstum in der Zukunft entstehen.
Doch Innovationen dieser Reichweite sind immer mit be-
stimmten Markthemmnissen beziehungsweise -barrieren
verbunden, etwa hohe Investitionskosten, fehlende Kompe-
tenzen auf dem Arbeitsmarkt, hohe Unsicherheit bei Tech-
nologieentwicklung und der Entwicklung neuer Verfahren
und Produkte. Diese machen es vor allem kleinen und mittel-
ständischen Betrieben (KMU) schwer, die damit verbundenen
Risiken und Kosten zu schultern. Im Sinne der nachfrage­
orientierten Innovationspolitik, wie sie das Bundesministeri-
um für Bildung und Forschung in seiner Hightech-Strategie
definiert hat, können verschiedene Punkte wichtig sein:
Um technische Machbarkeiten nachzuweisen und neue An-
wendungspotenziale zu erschließen, wäre ein diskriminie-
rungsfreier Zugang zu Pilotanlagen und Demonstratoren von
Industrie 4.0 vor allem für KMU wichtig. Empfehlenswert
sind auch die Stärkung eines branchen- und technologie­
übergreifenden Austausches sowie das gegenseitige Lernen
von Unternehmen, quasi außerhalb der Komfortzone. Zudem
sollten Verwertungspotenziale hinsichtlich von Geschäfts-
modellen und industriellen Services und bei der Industrie
4.0-Technologieentwicklung sowie den dafür notwendigen
organisatorischen Rahmenbedingungen und Kompetenzen
frühzeitig berücksichtigt werden. Es sollten Lösungen ent-
wickelt werden, die dem unterschiedlichen Bedarf von KMU
Rechnung tragen, das heißt robuste, skalier- und modulari-
sierbare Lösungen, um die Einstiegsschwelle in Industrie 4.0
für KMU möglichst niedrig zu halten.
PERSONALquarterly:
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