PERSONALquarterly 2/2016 - page 22

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PERSONALquarterly 02/16
SCHWERPUNKT
_KOMPETENZENTWICKLUNG
L
esen Sie Ihre Arbeitsmails nach Feierabend auf Ihrem
Tablet? Werfen Sie bereits morgens einen ersten Blick
auf Ihre Mailbox? Sind Sie auch außerhalb Ihrer Ar-
beitszeiten für Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte
oder Kunden erreichbar? In den letzten Jahren hat sich eine
Arbeitskultur etabliert, in der die zunehmende Digitalisierung
und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse die Grenzen
zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen lässt (Kreiner/
Hollensbe/Sheep, 2009). Besonders betroffen sind hiervon Be-
rufstätige mit hoher Autonomie und Flexibilität bei der Arbeit,
die ihren Arbeitsalltag in hohem Maße eigenverantwortlich
planen und gestalten. Die neuen Medien ermöglichen flexibles
Arbeiten an verschiedenen Orten und zu flexiblen Zeiten –
das eröffnet neue Handlungsspielräume. Gleichzeitig hat sich
durch das flexible Arbeiten eine Kultur der ständigen Erreich-
barkeit etabliert (Berkowsky, 2013). Der Fehlzeiten-Report der
WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK; Badura/Ducki/
Schröder/Klose/Meyer, 2012) bestätigt mit einer repräsenta-
tiven Stichprobe (n=2002), dass 34% der Berufstätigen häufig
Anrufe und E-Mails außerhalb der Arbeitszeit erhalten. Ins-
gesamt 21% der Berufstätigen berichten über Erschöpfung als
eine Konsequenz sowie das Problem, in der Freizeit nicht von
der Arbeit abschalten zu können. Auch die Erholungszeiten
verändern sich: Die klassische Struktur mit Mittagspause,
Feierabend und Wochenende ist nicht mehr durch feste Ar-
beits- und Pausenzeiten vorgegeben, sondern muss verstärkt
eigenständig geplant und eingehalten werden. Diese zusätz-
lichen Anforderungen gehen nicht nur mit zunehmender
Autonomie einher, sondern ebenso mit der Anforderung, den
(Arbeits-)Alltag eigenverantwortlich zu gestalten (Bredehöft/
Dettmers/Hoppe/Janneck, 2015). Dazu zählt auch die eigene
Erholungszeit zu gestalten, um bewusst Erholungsphasen zu
nutzen und verbrauchte Ressourcen rechtzeitig aufzufüllen.
Dies erfordert Erholungskompetenz, die erlernt werden kann
und muss, um langfristig gesund und arbeitsfähig zu bleiben.
Ziel dieser Studie war es, Erholungsstrategien bei Berufstäti-
gen mit hoher Autonomie und Flexibilität durch Interviews zu
erfassen. Dabei steht folgende Frage im Vordergrund: Welche
Strategien eignen sich bei Berufstätigen mit hoher Autonomie
und Flexibilität dazu, sich gut zu erholen und zu regenerieren?
Erholungskompetenz bei Berufstätigen
mit hoher Autonomie und Flexibilität
Von
Elisa Clauß
(Humboldt-Universität zu Berlin),
Prof. Dr. Annekatrin Hoppe
(Humboldt-Universität zu Berlin) ,
Vivian Schachler
(Humboldt-Universität zu Berlin) und
Prof. Dr. Jan Dettmers
(Medical School Hamburg)
Aufbauend auf diesen Interviewergebnissen sowie bestehen-
den Theorien und Forschungsbefunden wurden Übungen zur
Förderung von Erholungskompetenz entwickelt, die im Rah-
men des EngAGE-Projekts
1
Berufstätigen mit hoher Autonomie
und Flexibilität in Form eines Online-Coachs zur Verfügung
gestellt werden.
Erholung und Erholungskompetenz
Das Effort-Recovery-Modell zeigt auf, dass Personen die Be-
lastungen des Arbeitsalltags mithilfe von körperlichen (z.B.
Energie) und psychologischen Ressourcen (z.B. persönliche
Ressourcen wie Emotionsregulation) bewältigen. Der Einsatz
von Ressourcen resultiert in Beanspruchung am Ende des Ta-
ges, bspw. in Erschöpfung. Diese Beanspruchung ist reversi-
bel, d.h. verbrauchte Ressourcen können durch ausreichende
Erholungsphasen wieder aufgefüllt werden. Werden diese Er-
holungsphasen nicht ausreichend genutzt, kumulieren sich Be-
anspruchungsfolgen und schwerwiegendere körperliche oder
psychische Beeinträchtigungen wie chronische Müdigkeit,
emotionale Erschöpfung oder Depressionen können entstehen
(Meijman/Mulder, 1998).
Erholungskompetenz ist für Berufstätige somit unerlässlich
für die Schaffung, Wahrung und Nutzung von Erholungsphasen.
Kompetenz wird in diesem Beitrag definiert als: verfügbare oder
erlernte Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in Zusammenhang mit
Wissen, Verstehen, Können, Handeln, Erfahrung und Motivation
stehen. Mit ihrer Hilfe können Personen konkrete Anforderun-
gen bewältigen bzw. Probleme in verschiedenen Situationen er-
folgreich und verantwortungsvoll lösen (angelehnt an Klieme,
2004). Erholungskompetenz setzt somit das Wissen um Bean-
spruchungen sowie Erfahrungen mit persönlichen Beanspru-
chungsauslösern voraus. Erholungskompetenz ist demnach die
Fähigkeit, sich auf Grundlage dieses Wissens und persönlicher
Erfahrungen funktionale Erholungsstrategien (Fertigkeiten) an-
zueignen. Weiterhin müssen diese Strategien erfolgreich einge-
setzt werden, wobei Können, Handeln, Erfahrung und Motivation
eine wichtige Rolle spielen. Richtig eingesetzt helfen diese Stra-
1 Das Projekt EngAGE „Entwicklung einer Online-Intervention zur Förderung von Arbeitsgestaltungs-
und Gesundheitskompetenz bei selbstgestalteten Arbeitsbedingungen“ wird gefördert durch das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen: 01FK13028); Website:
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