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POLITIK, WIRTSCHAFT & PERSONAL
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TITELTHEMA
bungsschreiben formuliert oder einen Lebenslauf erstellt zu
haben. Das erfordert natürlich völlig neue Vorgehensweisen im
Recruiting, aber die Argumente von Gerhard Wach sind schlag
kräftig: „Der traditionelle Recruitingprozess ist ewig lang und
führt selten zum Ziel, weil alle Unternehmen im selben Teich
fischen“, sagt er. Seine App stelle für Arbeitgeber Kontakte zu
Kandidaten her, die sonst nicht auf dem Arbeitsmarkt wären.
„Wer mit einem solchen Kandidaten ein Telefoninterview geführt
hat und dann zum traditionellen Prozess zurückkehrenwill, kann
ihn bitten, Lebenslauf und Zeugnisse einzureichen. Aber er muss
abwägen, ob er mit der Rückkehr in den alten Prozess den Kan
didaten nicht verschreckt.“
Immer mehr Unternehmen denken um und verzichten zu
mindest auf das Anschreiben bei der Bewerbung, zum Beispiel
Henkel und Otto. Ihre Argumentation: Ein Anschreiben ist nur
wenig aussagefähig, da beim Verfassen häufig Freunde, Google
oder Bewerbungsratgeber helfen. Auf der anderen Seite ist es für
die Stellensuchenden mühsam und hält viele von einer Bewer
bung ab. Bei der Deutschen Bahn dürfen sich seit dem Herbst
2018 Azubis ohne Anschreiben bewerben, wodurch sich die ein
gegangenen Bewerbungen um zehn Prozent erhöht haben.
Es empfiehlt sich, zunächst das
eigene Recruiting zu analysieren und
an heutige Erfordernisse anzupassen
Aber es gibt auch Stellen, bei denen solch unkomplizierte
Bewerbungsmöglichkeiten keine Ergebnisse bringen, bei denen
auch andere Maßnahmen wie Google-optimierte Stellenanzei
gen, ein Mitarbeiterempfehlungsprogramm oder eine proaktive
Ansprache auf Xing oder LinkedIn nicht zum Erfolg führen. Bei
diesen Stellen, die meist im IT-Umfeld angesiedelt sind oder in
denmittleren bis oberen Führungsetagen, ist zu überlegen, ob ein
externer Personalberater zu Rate gezogen wird. Personalberater
verfügen über weit verknüpfte Netzwerke und kombinieren zu
dem verschiedene Suchwege wie Direkt-, Internet- und anzei
genbasierte Suche.
Doch das lassen sie sich auch viel kosten. Das Honorar eines
Personalberaters orientiert sich meist am Zieleinkommen des
zu suchenden Kandidaten. Laut Bundesverband der Personal
berater betrug im Jahr 2018 das durchschnittlich vereinbarte Ho
norar 26,4 Prozent des Zieleinkommens. Ausgehend von einem
durchschnittlichen Jahresgehalt von rund 123.000 Euro für eine
Führungskraft in der Immobilienwirtschaft kann da schnell ein
Betrag von mehr als 32.000 Euro zustande kommen. Deshalb
empfiehlt es sich, zunächst das eigene Recruiting zu analysieren
und an die heutigen Erfordernisse anzupassen.
«
Daniela Furkel, Randersacker
Wie gelingt das Recruiting in
Zeiten des „War for Talents“?
Die Immobilienbranche wächst
seit Jahren stark; die in diesem
Sektor tätigen Unternehmen
kämpfen um qualifizierte Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter
und fischen dabei allerdings im
selben Teich.
Die Wechselmotive sind viel-
schichtig, und wir beobachten,
dass es sehr individuelle Push-
und Pull-Faktoren gibt. Die erste
Herausforderung für Unternehmen
ist deshalb, genau die Angebote
zu machen, die für die anvisierte
Zielgruppe interessant sind. Die
zweite, dieses der Zielgruppe auch
zu kommunizieren.
Entsprechend gestalten wir
unsere Strategie, bei der immer
die Menschen im Mittelpunkt
stehen. Wir geben ihnen Raum,
sich zu entfalten, und engen sie
in unserem stark unternehmerisch
geprägten Haus nicht ein. Zudem
identifizieren wir Talente und för-
dern ihre individuelle Entfaltung,
bei entsprechender Leistung auch
schnell und über starre Karriere-
pfadgrenzen hinaus. Das wirkt sich
natürlich auf die Vergütung aus
und kann hochattraktiv sein.
Ein Hauptaugenmerk richten wir
ebenfalls auf die Arbeitsbedin-
gungen. Ein Beispiel aus diesem
Bereich ist die Sportförderung mit
Fitnessangeboten, die wir kürzlich
ins Leben gerufen haben und
die aktuell eine hohe Nachfrage
verzeichnet. Die Strategie des
Fokussierens auf den Menschen
als Mitarbeiter bringt mit sich,
dass auch der Spaß, gerade im
täglichen Umgang miteinander,
nicht zu kurz kommt.
Damit kommen wir zur zweiten
Herausforderung. Wie kom-
munizieren wir das, was wir
bieten, unserer Zielgruppe? Ganz
entscheidend dabei sind die bei
uns beschäftigten Kolleginnen und
Kollegen, die in ihren jeweiligen
Netzwerken als Arbeitgeber-
Markenbotschafter wirken. Wer
gerne bei uns arbeitet, ist auch
ein Multiplikator in seinem
Umfeld und gewinnt so neue
Colliers-Mitarbeiterinnen und Mit
arbeiter. Diesen Einsatz für unser
Unternehmen honorieren wir
beispielsweise mit einer Prämie.
Aber natürlich nutzen wir auch die
klassischen Recruiting-Instrumente
wie Hochschul- oder Karrieremes-
sen, Präsenz in den einschlägigen
Social-Media-Kanälen sowie
Online-Stellenanzeigen. Die
Unterstützung von Headhuntern
nehmen wir weniger in Anspruch,
da wir diese Dienstleistung ins
eigene Haus geholt haben. So
arbeiten derzeit zwei Personen bei
uns, die für uns gezielt Kandidaten
identifizieren und gewinnen,
denn wir planen noch bis zu 100
weitere neue Kolleginnen und
Kollegen im Team begrüßen zu
dürfen.
Talente gewinnen fängt im eigenen Team an
PRAXISBEISPIEL
COLLIERS INTERNATIONAL
Carsten Liede,
Head of Human Resources
bei Colliers International
in Deutschland