Immobilienwirtschaft 4/2018 - page 12

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MARKT & POLITIK
I
IMMOBILIENWIRTSCHAFT IM LÄNDLICHEN RAUM
So wird die größte Chance der ländlichen
Gemeinden, nämlich dasThema Teilhabe,
gelebte Nachbarschaft, gelebtes Vereins-
leben etc. konterkariert. Und Teilhabe ist
eine Riesenchance gerade in unserer de-
mographischen Situation.
Wie kann die Lösung dann aussehen?
Wir wollen den Donut-Effekt umkehren,
indem wir die Dorfmitte, den Ortskern,
stärken. Mit Unterstützung des ZIAwurde
das „urbane Gebiet“ in der Baunutzungs-
verordnung erreicht, das eine Nutzungs-
durchmischung fördert. Warum realisie-
ren wir das nicht in den Dörfern oder
Kleinstädten, so wie es einmal war? Also
mit Wohnen, Handel und Handwerk in
der Ortsmitte. Vermutlich könnten sich
so auch die Nachwuchsprobleme vieler
Handwerker lindern lassen.
Das heißt, den Supermarkt in die Innen-
stadt verlegen?
Ja. Warum wird diesem
nicht erlaubt, in die Ortsmitte zu gehen,
auch wenn dann schlimmstenfalls ein
his
torisches Gebäude abgerissen werden
muss? Wir kommen jetzt tatsächlich an
einen Punkt, dass viele historische, iden-
titätsstiftende Gebäude verfallen werden,
wenn wir jetzt nicht handeln und einzelne
Gebäude opfern.
Sollte der Denkmalschutz gelockert
werden?
Ja. Dass viele Menschen weg-
ziehen, kann auch an Immobilienthemen
liegen. Die Fachwerkhäuser oder kleinen
Höfe sind schön, aber oft so dunkel und
niedrig, dass man kaum darin stehen
kann. Man könnte an ein ensemble- oder
denkmalgeschütztes Gebäude Anbauten
anbringen, in denen man leben kann.
Was nützt die Erhaltung der Gebäude,
wenn die Orte dabei sterben?
Gehen Neubaugebiete überhaupt nicht
mehr?
Nein, jedenfalls nicht in dieser
uns so vertrauten identitätslosen Form.
Wenn schon ein Neubaugebiet, dann mit
„Local Spirit“. Mit diesemThema hat sich
die Bundesstiftung Baukultur sehr stark
beschäftigt. Ein wesentlicher Punkt zur
Stärkung des ländlichen Raums ist es,
identitätsstiftende Gebäude zu erhalten.
Für die es möglicherweise eine Förde-
rung gibt?
Anreize könnte ich mir bei
diesem Punkt vorstellen, aber bitte nicht
mit der Gießkanne.
Aber der ländliche Raum wird durch
das alles nicht wirklich sexy …
Er ist oft
attraktiver, als Sie denken. Auch auf dem
Land kommt dasThema Co-Working ver-
stärkt auf, es gibt hier einige Konzepte. Ein
Freund von mir nutzt es täglich, weil er
nur unregelmäßig im Büro sein muss und
ihmzuHause die Decke auf den Kopf fällt.
Tatsächlich, Co-Working auf dem Land?
Es geht nicht um riesige Co-Working-
Center. Manchmal wird auch ein Dorfla-
den betrieben, der vielleicht zwei Tage in
der Woche geöffnet hat und einen Raum
zur Verfügung stellt, in den zweimal in der
Woche der Arzt kommt. Oder die fahren-
de Volksbank.
Es hängt an den handelnden Personen.
Ja, viele Bürgermeister oder Landrä-
te schaffen das. Die machen aus einem
Rathaus ein Dienstleistungszentrum. Sie
erhalten identitätsstiftende Häuser und
Plätze, initiieren einen Markt. Oder ma-
chen aus einem Freibad auch ein Kultur-
zentrum. Es hängt an den individuellen
Voraussetzungen und Möglichkeiten.
Wie wichtig sind interkommunale Ko-
operationen? Freiburg etwa kooperiert
mit Gemeinden. Weil man die nach dem
Landesentwicklungsplan festgesetzten
Wohnungskontingente nicht ausschöp-
ZUR PERSON
Martin Eberhardt
FRICS ist seit 2011 Geschäftsführer der Bouwfonds Investment
Management Deutschland GmbH in Berlin. Nachdem Bouwfonds einen Großteil des Investmentge-
schäfts abgestoßen hat, wird er ab dem 15.5. Geschäftsführer bei Corpus Sireo.
Foto: Bouwfonds
„Was nützt die Erhal-
tung der Gebäude,
wenn die Orte dabei
sterben?“
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