Immobilienwirtschaft 7/2018 - page 35

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zu zaghaft und zu zögerlich angegangen. Das führt zu weiteren
Verwerfungen und Problemen. Die komplexe Materie scheint
die Entscheidungsträger zu überfordern. Dadurch stehen sich
Parteien und Interessengruppen immer häufiger unvereinbar
gegenüber, radikalisieren sich und beharren kompromisslos auf
ihren jeweiligen Positionen. Eine Verrohung der Sprache und der
Methoden ist die Folge – und dann geht nur noch wenig voran.
Besonders auf lokaler Ebene steht Verhindern und Bewah-
ren ganz oben auf der Agenda. Jeder der Gesprächsteilnehmer
kann da aus dem Vollen schöpfen und Beispiele aus dem Alltag
zum Besten geben. Am Hochhauskonzept für Berlin wird das
Dilemma deutlich: Im Koalitionsvertrag wurde der Hochhaus-
rahmenplan mutig als Ziel aufgenommen. An vielen Stellen in
der Stadt würden sich Investoren trauen hoch zu bauen. Doch die
linke Regierung braucht keine Hochhäuser, um ihre Wähler zu
überzeugen („Jedes nicht gebaute Hochhaus am Alex ist ein Sieg
gegen den Kapitalismus!“). Also werden umfangreiche Studien
und Pilotuntersuchungen beauftragt. Und so vergeht ein Jahr.
Oder zwei. Vermutlich drei. Und alle Bezirke können sich auf
das fehlende Gesamtkonzept berufen, ohne einen Finger krumm
zu machen.
Durch die Einführung der Baugebietskategorie „Urbanes Ge-
biet“ könnten Wohn- und Gewerbeflächen dichter werden und
enger zusammenrücken. Leider scheitern die Städte bisher bei
der Umsetzung entweder amLärmschutz oder an den Einwänden
von Beteiligten oder Betroffenen. Für die Beibehaltung des Status
quo gibt es leicht Mehrheiten. Für Veränderungen hingegen im-
mer seltener. Das ist umso tragischer in einem wirtschaftlichen
Umfeld, in dem so vieles ginge.
Die niedrigen Zinsen und die große wirtschaftliche Dynamik
könnten leicht zu neuen Arbeitsplätzen und zusätzlichen Woh-
nungen führen. Die Städte könnten diese geradezu einzigartig
günstige Situation nutzen, um sich fit zu machen für das, was
kommt. Das müsste das Gebot der Stunde sein – eigentlich. Die
Politik versucht aber vorsichtig auf Sicht zu fahren und kommt
nicht auf die erforderliche Geschwindigkeit. Wer ammeisten ver-
spricht und am wenigsten tut, gewinnt die Wahlen. Wie es ist, so
soll es bleiben, und wie es war, soll es wieder werden. Geschichte
wiederholt sich nicht. Systeme verändern sich in ihren eigenen
Geschwindigkeiten. Ob wir wollen oder nicht.
Jetzt rufen viele: Haltet denDieb!, aber keiner weiß, wer über-
haupt den Einfluss und die Macht gestohlen hat. Die Digitalisie-
rung, Künstliche Intelligenz, Sharing Economy, Industrie 4.0 und
die Smart City haben vom ersten in den vierten Gang geschal-
tet und werden unser Leben und unsere Städte von den Füßen
auf den Kopf stellen: Wenn Roboter nicht nur die menschliche
Muskelkraft, sondern auch diemenschliche Geisteskraft ersetzen.
Wenn allwissende Algorithmen unsere Entscheidungen treffen
und unser Leben optimieren. Wenn Arbeiter, Polizisten, Rechts-
anwälte, Kassiererinnen, Schaffner, Bankangestellte, Postboten,
Ingenieure und Bauarbeiter in den nächsten Jahren überflüssig
werden, weil selbstlernende Roboter und Drohnen ihre Aufga-
ben viel besser erledigen. Und dabei niemals hungrig, müde oder
krank sind, rund um die Uhr arbeiten und keinen Mindestlohn
fordern.
Wenn wir Glück haben, kann der daraus resultierende tech-
nologische Boom all die Menschen ohne Arbeit ernähren. Aber
womit beschäftigen sie sich dann? Jetzt müssen die Vorberei-
tungen für die digitale Transformation vorgedacht und angegan-
gen werden. Noch sind die nötigen Mittel vorhanden. Aber ich
fürchte, die heutigen politischen Strukturen sind nicht kreativ
und innovativ genug, um Schritt zu halten und passende Lö-
sungen anzubieten.
In unserer Diskussion in der ehemaligen Werkstatthalle von
Robben & Wientjes erwarten wir von der inklusiven Zivilgesell-
schaft den Innovationsschub. Bürger und Politik müssen sich
noch stärker vernetzen, gemeinsam Ideen entwickeln und neue
Optionen ausprobieren. Dazu zählen auch neue Beteiligungspro-
zesse, die aus dem heutigen Particitainment echte Partizipation
werden lassen.
Ein Mangel an Visionen ist nicht immer ein Segen, und nicht
jede Vision ist schlecht. Ohne nachvollziehbare Vorstellungen
und Projekte kann nicht die narrative Kraft entstehen, die Mehr-
heiten überzeugt.
Für die Beibehaltung des Status quo gibt es leicht Mehrheiten, für
Veränderungen dagegen immer seltener. Das ist tragisch – besonders
in einem wirtschaftlichen Umfeld, in dem eigentlich so vieles ginge.
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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