Immobilienwirtschaft 7/2018 - page 34

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FINANZIERUNG, INVESTMENT & ENTWICKLUNG
I
KOLUMNE
Wachsende Städte sind die vom Kapitalismus getriebenen
Blüten des Wohlstands. Mehr Einwohner benötigen zusätzliche
Infrastruktur, Wohnungen, Büros und Kindergärten. Die Wirt-
schaftwird angekurbelt, zusätzliche Arbeitsplätze entstehen et ce-
tera. Dabei können Angebot und Nachfrage nicht sofort ausba-
lanciert werden. Der rasche Zuzug führt zu steigenden Mieten,
die durch Lohnzuwächse nicht kompensiert werden. Besonders
hier nicht, wo 50 Prozent aller Einwohner über ein unterdurch-
schnittliches Einkommen verfügen. Das ist nicht sexy. Die zah-
lungskräftigeren Neu-Berliner übernehmen und verändern ihre
Nachbarschaft. Nicht immer zum Besseren für die, die schon da
sind. Wachsende Städte erzeugen Konflikte, die immer wieder
neu verhandelt, gemildert und bewältigt werden müssen.
Die demokratischen Entscheidungsprozesse könnenmit dem
Tempo nicht Schritt halten. Innerhalb weniger Jahre wurden aus
schrumpfenden Städten wachsende Metropolen, verwandelte
sich hohe Arbeitslosigkeit in Arbeitskräftemangel, Leerstand
in Wohnungsnot, zu niedrige in zu hohe Mieten. Aus großen
Altbauwohnungen wurdenWohngemeinschaften, aus Familien-
wohnungen Mikroapartments. Gemeinnützige Wohnungsbau­
gesellschaften wurden vor wenigen Jahren nicht mehr gebraucht,
heute sollen sie tausende Neubauwohnungen errichten. Auch die
Industrie kommt als Industrie 4.0 zurück in die urbanen Zentren.
In atemberaubender Geschwindigkeit wird aus einer leeren Stadt
eine dichte Stadt. Die lokale Politik kommt da nicht hinterher.
Die erforderlichen Anpassungen und Entscheidungen werden
E
s ist Sonntagabend. Ein regnerischer, kühler Sommerabend
in der Kreuzberger Prinzenstraße. Ich habe Matthias Sauer-
bruch und Tim Renner eingeladen, um über die Themen zu
sprechen, die die Stadt bewegen. Neben den Prinzessinnengärten,
den Erfindern des Urban Gardenings in Berlin, gegenüber vom
neuen Aufbau Haus, in die freigeräumte Werkstatthalle der Au-
tovermietung Robben &Wientjes. Hier sind die Veränderungen
und Konflikte der Stadt besonders deutlich zu erkennen. Die
Grundstücke sind bereits verkauft, es ist hier ein bisschen zugig,
seitdemHerr Robben undHerrWientjes aufs Land gezogen sind,
die Hallen sollen abgebrochen werden, neue Bürogebäude für
die Digitalwirtschaftwerden geplant. Zwischenzeitlich stellen die
KW hier zeitgenössische Kunst aus.
Die an diesem Abend stattfindende Diskussion ist nur eine
von über 100 Veranstaltungen im Rahmen des MakeCity-Festi-
vals. An vielen Orten wird über 14 Tage lang der Zustand der
Stadtgesellschaft untersucht. Die Themen sind Gentrifizierung,
Bürgerbeteiligung, neue Hochhaustypologien, mehr Dichte, Kre-
ativwirtschaft, es geht um die nachhaltige Stadt, die Stadt der
Zukunft.
Aber wo steht die Stadtgesellschaft heute, und was tut die
Politik, um auf die großen Veränderungen der Zukunft zu rea-
gieren? Tatsächlich hat Berlin gerade vomRückwärtsgang in den
ersten Gang geschaltet. Die Stadt ist heute vielleicht nicht mehr
ganz so arm (250.000 zusätzliche Arbeitsplätze in den letzten fünf
Jahren), aber auch nicht mehr ganz so sexy.
Make City
Foto: Dirk Weiß
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