Immobilienwirtschaft 3/2018 - page 35

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38.000 US-Dollar (Deutschland: 42.000 US-Dollar). Wenn ein
Emirati heiratet, bekommt er ein Haus geschenkt. Ausbildung
ist umsonst, eine Anstellung ist garantiert, Steuern sind nicht
zu entrichten.
AUTORITÄRES REGIME
Aber zwischen den Emiraten und Europa
liegen politisch und kulturell Welten. Die VAE sind ein autori-
tär regierter Staat (Platz 147 von 167 Ländern im Demokratie­
index). Auf die eine Million Emiratis kommen mittlerweile neun
Millionen ausländische Arbeitsimmigranten aus allen Teilen der
Welt, vorrangig aus Indien und Südostasien. Deren Aufenthalts-
erlaubnis gilt jeweils für zwei Jahre, kannmit entsprechendem Job
verlängert werden, muss aber nicht. Einbürgerung? Gibt es nicht.
Bauarbeiter? Geben ihren Pass ab und schuften für einMinimum
(immer noch besser als zu Hause ohne Job). Gewerkschaften?
Verboten. Sicherheit der Arbeiter? Nachrangig. Zensur? Gilt ge-
nerell für digitale und analoge Informationen. Nachhaltigkeit?
Ein Fremdwort. Das Land hat pro Kopf der Bevölkerung den
größten ökologischen Fußabdruck der Welt.
Deshalb droht der Ruf der VAE wie der Saudi-Arabiens zu
kippen. Autokratische Monarchien tun sich naturgemäß schwer
mit demAufbau pluralistischer und kreativer Gesellschaften. Hier
werden zwar schnelle und weitreichende Entscheidungen getrof-
fen, aber nicht unbedingt nachhaltige. Der Burj Khalifa ist zwar
als höchstes Hochhaus ein großerWerbeerfolg, vor demdie Tou-
risten Schlange stehen. Aber in einer Wüstenumgebung mit über
50 Grad ohne Schatten ist der Kühl- und Erschließungsaufwand
eines so oberflächenreichen aufragenden Volumens aberwitzig
hoch. Bodennahe, selbst verschattende Gebäudestrukturen ähn-
lich den traditionellen arabischen Bauformen sind da viel besser
geeignet.Warum sollten dafür nicht auch die Touristen kommen?
In Deutschland stehen die Menschen bei demThema Hoch-
haus auch Schlange. Aber nicht um als Erste auf die Aussichts-
plattform zu gelangen, sondern um gegen die Verantwortlichen
zu demonstrieren.Was läuft da also anders?Wenn junge, autokra-
tische, ölreiche Gesellschaften (VAE: 30 Jahre Durchschnittsalter)
Entscheidungen treffen, dann sind die wagemutiger als die plura-
listischen, älteren (Deutschland: 45 Jahre), die diverse Positionen
berücksichtigen wollen. Wenn also in Berlin eine Hochhausdis-
kussion geführt wird, reicht der Mut bis maximal 120 Meter.
Wenn überhaupt. Weil die Stadt ja angeblich in ihrer DNA eine
besondere Flachheit eingebaut hat. Was für eine Historie sollte
denn dann für Dubai zugrunde gelegt werden? Fischerdorf?
Leistungsfähige Städte sind die Ergebnisse fortlaufender Ab-
stimmungen vonmöglichst vielen gegensätzlichen Protagonisten.
Die Ergebnisse sind häufig differenzierter und nicht selten von
größerer Dauer. Auch wenn ich an der Langsamkeit und der
Tragik vieler Entscheidungen am Rande des Scheiterns häufig
verzweifle, gibt es kaum leistungsfähigere Strukturen, wenn es um
die Schaffung lebendiger und nachhaltiger Städte geht.
VERÄNDERUNGEN VON INNEN
Im neu eröffneten Louvre Abu
Dhabi, unter der 180 Meter großen Flachkuppel, die 55 kubische
Baukörper und eine offene Agora überspannt, wird mir das so
klar. Ich sehe ein Meisterwerk zeitgenössischer Architektur von
JeanNouvel. In Partnerschaftmit demPariser Louvre und Frank­
reich wurde ein Museum von Weltklasse ins Meer gestellt. Die
Eröffnungsausstellung bietet einen polyzentrischen Blick auf die
Kulturgeschichte derMenschheit. Hier finden sich eineMadonna
und eine Koranschrift in einer Vitrine und die Marmorbüste des
Aufklärers Voltaire lächelt neben dem Diktator Napoleon.
Die Ausstellung steht für Aufklärung, Toleranz und Respekt.
Das sind die Treibstoffe für pluralistische, kreative, innovative Ge-
sellschaften. Die sind immer hart erkämpft. Doch die Ausstellung
zeigt die Auseinandersetzungen dahinter nicht und passt sich
damit an eine konfliktarme, durch Ölmilliarden ruhiggestellte
Gesellschaft an, die zum ersten Mal ein Museum für internatio-
nale Kunst eröffnet. InWirklichkeit wurde jeder Fortschritt in der
Menschheitsgeschichte kontrovers und leidensreich erkämpft.
Ältere Gesellschaften können, wie im Louvre Abu Dhabi zu
sehen, eine Inspiration sein, aber die Veränderungen müssen aus
dem Inneren einer Gesellschaft heraus entstehen. Die Vereinig-
ten Arabischen Emirate haben mit ihren Städten einen Anfang
geschafft. Aber sie haben bis zu einer inklusiven, kreativen, sich
selbst versorgenden, von Öl, Gas und Diktatur unabhängigen
Gesellschaft noch einen langen, steinigen Weg vor sich.
Wird in Berlin eine Hochhausdiskussion geführt, reicht der Mut bis
maximal 120 Meter. Weil die Stadt in ihrer DNA eine Flachheit eingebaut
habe. Was für eine Historie sollte für Dubai zugrunde gelegt werden?
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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