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0.2017
Hier versorgen sich Nachbarn selbst mit
Strom. Das Micro Grid, also die lokale
Verknüpfung von Energieproduzenten
und -verbrauchern, sowie die Blockchain
für die Überwachung von Produktion und
Abrechnung von Stromverbrauch wurde
von Siemens installiert. Inzwischen nut-
zen 50 Parteien – darunter auch öffent-
liche Einrichtungenwie Kindergarten und
Feuerwache und privatwirtschaftliche wie
Tankstelle und Produktionsbetriebe – die
Blockchain. Jeder der Teilnehmer kann
mit jedem anderen Energie handeln.
Schon im nächsten Jahr sollen 1.000 Teil-
nehmer angeschlossen sein.
Doch man muss gar nicht bis nach
Amerika schauen. „Über 20 Energie
unternehmen werden in Deutschland
noch in diesem Jahr auf der Basis von
Blockchain Energie handeln – ohne ei-
nen zentralen Marktplatz wie eine Börse
zu nutzen“, sagt Jannis Holthusen, Ge-
schäftsführer des Hamburger Blockchain-
Spezialisten Upchain. Und Speicherspezi-
alist Sonnen sowie Netzbetreiber TenneT
verbinden gerade Photovoltaik-Heimspei-
cher per Blockchain. Haushalte sollen so
mittels eigener E-Batterien zur Stabili-
sierung des Stromnetzes beitragen und
besser erneuerbare Energien integrieren.
Basis ist eine Blockchain von IBM.
EFFIZIENTERE MESSUNG UND ABRECHNUNG
„Angenommen, ich habe ein Smart Me-
ter bei mir zu Hause eingebaut, so könnte
die Blockchain genutzt werden, um den
verbrauchten Strom in Echtzeit zumessen
und zu bezahlen“, nennt Schreiber noch
eine weitere, ganz konkrete Möglichkeit.
In diesen Ansätzen sieht Holthusen
auch die Energieversorger im Umbruch.
„Die haben jetzt die Chance, Lösungen
für Kunden noch einmal neu zu denken.
In der Entwicklung neuer Geschäftsmo-
delle sehe ich die eigentliche Chance:
Kann ich die Kundenbedürfnisse auf eine
andere, bessere Art befriedigen? Benöti-
gen Kunden heutige Services dann noch?
Was werden Kunden in Zukunft selber
machen, wobei benötigen sie Unterstüt-
zung?“ Blockchain dürfe man also nicht
als IT-Lösung denken, sondern als Grund-
lage für neue Geschäfte. Darin bestünden
aber auch die großen Risiken: „Wenn sich
Marktstandards grundlegend verändern,
dann sind heutige Anbieter gezwun-
gen umzusatteln – das kann unheimlich
schwer werden“, so Holthusen. Solange es
„nur“ darumgehe, bestimmte Prozesse zu
optimieren, ummit demMarkt mitzuhal-
ten, seien die Risiken überschaubar.
Diese Überlegungen seien auch auf
die Immobilienwirtschaft übertragbar.
Holthusen, der aus der Finanzwirtschaft
kommt, fasziniert dieMöglichkeit, Finan-
zierungen später viel besser handelbar zu
machen. Dadurch entstünden ganz neue
Anlagemöglichkeiten undMärkte würden
für neue Anleger geöffnet. Das sollte die
Konditionen für Finanzierungen verbes-
sern, gleichzeitig könnten liquide Zweit-
märkte entstehen. So könne man sich von
Investments einfacher wieder trennen.
Auch Transaktionen von Immobilien in
Ländern, die – vorsichtig gesagt – nicht
unseren Rechtsstandards entsprechen,
sieht Schreiber als Einsatzgebiet für die
Blockchain. Und man könne alle Infos zu
einem Gebäude in der Blockchain unter-
bringen. Mit dieser digitalen Abbildung
könne der Prozess des Kaufs und Ver-
kaufs verschlankt werden. Aber auch die
Automatisierung vonAbrechnungen oder
das Melden von Bilanzkreisen würde sich
vereinfachen.
Allerdings: „Ich befürchte, dass es
noch eine Weile dauern wird, bis sich
solche Modelle flächendeckend durch-
setzen“, so Holthusen. „Aber man sollte
Blockchain nicht einfach als Hype abtun.
Die neuenMöglichkeiten sind jetzt da und
werden auch genutzt werden.“
SUMMARY
»
Blockchain ist eine Datenbank,
die Transaktionen dezentral und manipulationssicher aufzeichnen kann.
Die Blockchain kann man sich wie ein global verteiltes Kassenbuch vorstellen.
»
Abgerechnet wird in einer digitalen Währung,
am bekanntesten ist Bitcoin.
»
In der Immobilienbranche gibt es bereits erste Anwendungen,
bis sie sich flächendeckend
durchsetzen, wird es jedoch noch eine Weile dauern.
BLOCKCHAIN
ist eine Datenbank, die gegen
nachträgliche Manipulation durch
Speicherung des Hashwertes des
vorangehenden Datensatzes im je-
weils nachfolgenden (so genannte
kryptographische Verkettung)
gesichert ist. Die Funktionsweise
ähnelt dem Journal der klassischen
Buchführung.
BITCOIN
ist eine digitale Geldeinheit, mit
der weltweit dezentral Überwei-
sungen von Rechner zu Rechner
(peer to peer) vorgenommen wer-
den können. Eigentumsnachweise
werden in einer persönlichen
digitalen Brieftasche gespeichert.
Der Umrechnungskurs in andere
Zahlungsmittel bestimmt sich
durch Angebot und Nachfrage. Erst
kürzlich spalteten Entwickler davon
Bitcoin Cash ab. Sie wollen die An-
zahl der möglichen Transaktionen
je Blockchain-Abschnitt erhöhen.
Umrechnungskurs derzeit (20.9.):
1 Bitcoin = 3341,50 Euro,
Marktkapitalisierung derzeit:
40,7 Milliarden US-Dollar.
ETHEREUM
basiert auf einer eigenen öffent-
lichen Blockchain und verwendet
die Kryptowährung Ether als Zah-
lungsmittel. Sie ermöglicht Smart
Contracts, also Befehle, die in die
Währung implementiert sind.
Umrechnungskurs derzeit:
1 Ether = 242,48 Euro (20.9.),
Marktkapitalisierung derzeit:
27,5 Milliarden US-Dollar.
GLOSSAR
«
Frank Urbansky, Leipzig