Immobilienwirtschaft 10/2017 - page 93

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grundsätzliche Fragestellung: Sollte die Immobilienwirtschaft
dem Innovationshype aufgeschlossen oder eher kritisch gegen-
überstehen? „PropTechs werden in der Wohnungswirtschaft aus
der Eigentümerperspektive eher als evolutionär denn als disruptiv
empfunden und als Chance für die Digitalisierung undModerni-
sierung der Unternehmensprozesse betrachtet“, antwortet darauf
Claudia Hoyer. „Bestehende Systeme werden unterstützt oder
erweitert, vorhandene Prozesse erleichtert, neue Möglichkeiten
der Kundenorientierung geschaffen“, ist die COO der TAG Im-
mobilien AG überzeugt.
RISIKEN
Natürlich bergen Geschäftspartnerschaften mit jungen,
eher unbekanntenUnternehmen gewisse Risiken. Möglicherwei-
se hält das PropTech finanziell nicht durch, es wird aufgekauft
oder geht in die Insolvenz. Ein großes Kooperationsrisiko könnte
sein, wenn etwa die Datenschutzbestimmungen kreativ ausgelegt
werden. Deswegen ist es unabdingbar, das Vorhalten von sicheren
Servern für Kundendaten, die Sicherheit und das Eigentum der
Daten vor Geschäftsabschluss zu klären. Und vor einemweiteren
Risiko ist niemand gefeit: demRisiko, auf eine falsche, weil flüch-
tige Technologie zu setzen, die morgen schon wieder veraltet ist.
Trotz der verbreitetenWahrnehmung, in derWohnungswirt-
schaft seien eher evolutionäre Bewegungen zu beobachten, gibt
es bereits erste Disruptionseffekte. Diese finden etwa in angren-
zenden Real-Estate-Bereichen statt. Wahrnehmbar betrifft das
etwa die Logistikbranche. Hier bilden digitalisierte Gebäudedaten
die Grundlage für vollautomatisierte und neue Logistikprozesse.
Disruptionspotenzial haben auch in der Startphase befind-
liche Onlinehandel-Plattformen. Die 21st Real Estate GmbHetwa
will den vollständigen Immobilientransaktionsprozess – vomAn-
gebot bis zumNotar – abbilden. Das könnte somit den gesamten
Due-Diligence-Prozess plattformgetrieben obsolet machen.
Auch einige wohnungswirtschaftlich orientierte PropTechs
wirken sich eher disruptiv auf die Dienstleister der Immobilien-
wirtschaft aus. Diverse PropTechs bieten etwa Vermieter-Mieter-
Plattformen an, die die typischen Maklerleistungen abbilden.
Dazu gehören auch PropTechs wie moovin Immobilien GmbH,
die sich zusätzlich noch als Vermarktungsmaschine für Immo-
bilien und damit als günstige Alternative zum Makler sieht. Ein
anderes Beispiel mit Disruptionspotenzial ist die automatisierte
Gebäudesteuerung durch dieMeteoVivaGmbH. DurchMetering
und Abrechnung könnten zugleich Leistungen der Messdienst-
leister disruptiert werden.
FALSCHE WEGE
Geschäftsführer und Vorstände informieren sich
derzeit über Digitalisierungsstrategien unter Einbindung von
PropTechs. Doch die Führungskräfte arbeiten dabei leider oft
vereinzelt an operativen Teil-Lösungswegen. Weit verbreitet ist
auch noch eine andere Erscheinung: Die digitalen Fähigkeiten
der Mitarbeiter sind oft völlig unerkannt. Denn es gibt in jedem
Unternehmen dynamisch-aufgeschlosseneMitarbeiter. Natürlich
Nur
10
Prozent der insgesamt 132
untersuchten PropTechs sind
High Potentials. Allein bei diesen
Unternehmen sind eine ausge-
reifte Produktidee und ein klares
Alleinstellungsmerkmal für die
Wohnungswirtschaft erkennbar.
findet man aber auch solchemit vollständig ablehnender Haltung.
Gleichzeitig ist der digitale Wandel nicht aufzuhalten. Und der
Kampf imChange Management von der Fehler- zur Lösungskul-
tur mit akzeptiertem Scheitern ist in vollem Gange.
Doch scheinbar unaufhaltsamrückt ebenso Industrie 4.0 auch
in der Wohnungswirtschaft näher. IT-Strategien halten zuneh-
mend Einzug in die Wohnungsunternehmen. Trotzdem scheint
es, dass viele Unternehmen bei der Einbindung von PropTech-
Lösungen derzeit abwarten. Vielleicht sind sie auch mit dieser
Entscheidung überfordert. Das ist unverständlich, hat doch die
Wohnungswirtschaft in der Vergangenheit gezeigt, dass sie mit
Handwerkerkopplung und anderen Systemen bereits viele inno-
vative Lösungen verbinden und integrieren konnte.
Dennoch wirkt sie nach außen wenig innovativ. Insofern ist
es ein Novum, wenn erste Wohnungsunternehmen nun Inno-
vations- und Digitalisierungsmanager einstellen wollen. Inte-
ressanterweise agieren hier Wohnungsunternehmen anders als
andere Industrien. In anderen Branchen ist zu beobachten, wie
Digitalisierungsmanager zuerst auf Geschäftsführerebene bestellt
werden. Dort werden auch Innovations- undDigitalisierungsstra-
tegien ganzheitlich entwickelt.Wohnungsunternehmen hingegen
führen ihre Innovationsthemenmitunter lediglich als Projekte auf
der mittleren Führungsebene und im IT-Bereich durch. Doch die
Vergangenheit hat in vielen Projekten gezeigt, dass der IT-Bereich
zukünftig beim Thema Digitalisierung eher die reinen Support-
funktionen übernehmen sollte. Die Projektleitung sollte definitiv
bei den Kreativen aus den operativen und fachlichen Einheiten
sowie bei den Kaufleuten liegen.
FALSCHE SICHTWEISE
Viele Wohnungsunternehmen haben bis
vor Kurzem noch eine andere Sichtweise gehabt. Bislang sahen
sie vielmehr allein ihre oft langjährigen IT-Dienstleister für die
Themen Digitalisierung und Innovation zuständig. Es war
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