Immobilienwirtschaft 10/2017 - page 63

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Solange nicht einmal die Standardinformationen über Bestandsmietverträge in ein
funktionierendes IT-System eingepflegt werden, erscheint es mir fragwürdig, wenn
einer der Visionäre an den Rednerpulten „in gar nicht so weit entfernter Zeit“ das
Grundbuchamt mithilfe von Blockchain-Technologien abschaffen will. Verstehen Sie
mich nicht falsch, ich bin durchaus der Meinung, dass es sich bei der digitalen Revo-
lution um die größte Herausforderung der Immobilienwelt unserer Zeit handelt.
Allerdings muss ich feststellen, dass wir uns beimThema Dokumentation und
Reporting noch in der Steinzeit befinden. Dass es eine klaffende Lücke gibt zwischen
dem, was technisch bereits heute machbar wäre, und der tatsächlichen Umsetzung.
Hier sollten mehr Redner ansetzen: bei der Verwirklichung dieser Potenziale. Beispiel
Building Information Modeling (BIM). Ein gewinnbringender Vortrag würde mir
aufzeigen, was bereits jetzt in Asien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten
erfolgreich umgesetzt wird. Damit ich mir diese Details für die nächste Inspektion der
Baustelle merken kann, wenn der Bauleiter wieder einmal seine Papierrolle mit den
Zeichnungen auf einem Klapptisch ausbreitet.
Digitalisierung lernen, das ist wie Laufen lernen: behutsam einen Fuß vor den ande-
ren setzen. Wenn es uns in den nächsten fünf Jahren gelingt, die Grundlagen für die
elektronische Verarbeitung von technischen Gebäudedaten und zentralen Mieter-
informationen zu standardisieren und diese Standards auch zu etablieren, wäre das
bereits ein Meilenstein. Erst wenn die Erhebung dieser Fundamentaldaten einwand-
frei funktioniert, ist der Blick in die entferntere Zukunft realistisch.
Ich sehe allerdings noch einen weiteren Trugschluss bei einigen, die sich über die
Vorteile der neuen Technologien unterhalten: Zwar besteht kein Zweifel daran, dass
uns die digitalen Lösungen einiges an Arbeit abnehmen werden. Eine Aufgabe wird
die Technik hingegen niemals übernehmen können – die einer umfassenden Mieter-
betreuung –, sosehr einige Marktakteure aus Effizienzgründen auch darauf spekulie-
ren mögen.
Mein Fazit: Es ist einer der ältesten Grundsätze in der Immobilienwelt, der aber
durch die vielen digitalen Gadgets immer stärker verschleiert wird. Doch letztend-
lich produziert auch in Zukunft weder ein technikgestütztes Management noch ein
vollautomatisches Simulationsprogramm die Objektrendite – sondern nach wie vor
ein zufriedener Mieter.
Digitalisierung lernen ist wie Laufen lernen
«
Markus Reinert FRICS,
Vorstandsvorsitzender/
CEO der IC Immobilien
Gruppe
„Wir befinden uns noch
in der Steinzeit. Es gibt
in der Immobilienbran-
che eine klaffende Lücke
zwischen dem, was
technisch bereits mach-
bar wäre, und der tat-
sächlichen Umsetzung.“
Wie oft haben Sie sich schon auf einer Fachtagung einen
langweiligen Vortrag zum Thema Digitalisierung anhören
müssen? Wahrscheinlich mehr als einmal. Viele Redner nei-
gen dazu, sich in ihren Visionen zu vergaloppieren, ohne auf
den digitalen Ist-Zustand der Branche einzugehen.
Kommentar
Markus Reinert FRICS
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